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Ob in Österreich, ob in der Europäischen Union: Gott in der Verfassung tut meinem Verständnis von Gott Gewalt an.

Theologen, Juristen, Philosophen beschäftigen sich seit geraumer Zeit mit Vorschlägen auf politischer Ebene, Gott in die Verfassung zu schreiben. Ich möchte mich heute, obwohl Jurist, in diese fachwissenschaftlichen Debatten nicht einbringen. Ich äußere mich lediglich vor dem Hintergrund der spirituellen Dimension meines Menschseins.

Eine Verfassung verfasst, wie das Wort schon sagt. Es wird etwas in eine Fassung gebracht. Die Fassung ist eine Form. Diese Form hat ein bestimmtes Erscheinungsbild. Die Fassung trennt das, was drinnen ist, von dem, was sich außerhalb der Verfassung befindet.

Der Bedeutungsgehalt, dass es bei Verfassung um das (Ein-)fassen geht, zeigt sich in verschiedenen Zusammenhängen. Wir verfassen einen Artikel, das heißt, wir bringen unsere Gedanken, Gefühle et cetera in die Form des geschriebenen (oder gesprochenen) Wortes. Sie trennt das Ausgesprochene vom Nichtausgesprochenen. Es mag mir, dem Sender, der Bedeutungsgehalt dessen, was ich schreibe (oder sage) klar sein. Der Empfänger mag mit dem Wort aber einen ganz anderen Bedeutungsgehalt verbinden.

Oder: Ich bin in dieser oder jener Verfassung, d. h. ich bin in diesem oder jenem Zustand. Der Zustand ist eine Fassung oder eine Form. Er gibt mir eine nach außen sichtbare, mich von außen abgrenzende Kontur.

Verfassung ist apersonal

Die Verfassung als Rechtsnorm ist apersonal. Wenn in der Verfassung vom Bundespräsidenten oder vom Landeshauptmann gesprochen wird, meint die Verfassung das Amt, die Institution mit den das Amt oder die Institution kennzeichnenden Kompetenzen. Der Mensch, der das Amt des Bundespräsidenten oder des Landeshauptmanns ausübt, ist kein Bezugspunkt der Verfassung. Dieses Apersonale der Verfassung und ihrer Institutionen mag der Hintergrund sein, warum eine Frau, die das Amt des Landeshauptmanns ausübt, sagt, sie wolle als "Landeshauptmann" angesprochen werden.

Auch Grundrechte in der Verfassung haben eine Verfasstheit, eine Trennlinie, eine Begrenzung durch den Geltungsbereich. Das Recht, den Landtag oder den Nationalrat zu wählen, steht nur österreichischen Staatsbürger(inne)n zu. Andere, den Staatsbürgern vorbehaltene Grundrechte wie zum Beispiel die Erwerbsfreiheit stehen allen Bürger(inne)n der Europäischen Union, nicht aber Ausländer(inne)n zu. Und selbst jene Grundrechte, die als Jedermansrechte Menschenrechte sind, so zum Beispiel das Recht auf persönliche Freiheit, gelten nicht absolut, gelten nicht ohne Einschränkungen. Grundrechte bedürfen der Justiziabilität, sie müssen angewendet und durchgesetzt werden. Das durch das Grundrecht geschützte Schutzgut muss konkretisiert werden. Dabei sind Geltungsgrenzen, Schranken zu beachten, die ebenfalls der Konkretisierung bedürfen.

Und Gott? Ist Gott eine Verfasstheit, etwas Begrenztes und Begrenzendes, etwas Apersonales, etwas in Verfahren und Anwendungssituationen zu Konkretisierendes? Gott in der Verfassung tut meinem Verständnis von Gott Gewalt an!

Gefangener Gott

Gott ist das, was alles in sich einschließt, das Alpha und das Omega. Gott ist das Unendliche, die Aufhebung von Raum und Zeit. Gott ist das Grenzenlose, die Ganzheit. Gott ist die in mir gepflanzte Ahnung, woher ich komme und wohin ich gehe, eine Ahnung der Ausgesöhntheit. Gott ist der Ruf desjenigen, der sich in der Stunde der Finsternis verlassen meint.

Gott ist überall, Gott durchflutet alles Sein und alles Nichtsein, das Belebte und Unbelebte, unabhängig davon, welches Bild sich der Mensch von Gott macht, welche Fassung er Gott gibt. Gott ist die Aufhebung von Bipolarität, Gott ist nicht Tag und ist nicht Nacht, Gott ist nicht Mann und ist nicht Frau, Gott ist nicht außerhalb und ist nicht innerhalb von Form oder Fassung.

Als Bürger bin ich der Verfassung im Rahmen ihrer Fassung, ihres Geltungsbereichs, ihrer Grenzen, ihrer Relativität unterworfen. Als Mensch anerkenne ich keinen in der Verfassung gefangenen Gott, keinen Gott der Gefasstheit, der Form, der Begrenztheit.

Der Autor ist Professor für Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der Universität Graz.

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