Die geheime Großmacht der Vorurteile

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Ohne kategorisches Denken wären wir ganz schön aufgeschmissen. Problematisch wird es aber dann, wenn unser Verhalten von Vorannahmen gesteuert wird, die uns selbst verborgen bleiben, so die Psychologen Mahzarin Banaji und Anthony Greenwald.

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Ohne kategorisches Denken wären wir ganz schön aufgeschmissen. Problematisch wird es aber dann, wenn unser Verhalten von Vorannahmen gesteuert wird, die uns selbst verborgen bleiben, so die Psychologen Mahzarin Banaji und Anthony Greenwald.

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Ihnen liegt es fern, Menschen nach ihrer Hautfarbe zu beurteilen? Sie kümmern sich nicht um schnöde Äußerlichkeiten wie Attraktivität oder Bauchumfang? Auch das Alter, das Geschlecht und die sexuelle Orientierung spielen nicht in ihre alltäglichen Bewertungen anderer hinein? Sie gehören also, salopp formuliert, zu den "Guten": Sie sind ein Vertreter egalitärer Werte, haben wohlwollende Absichten und streben danach, ihr Verhalten mit diesen in Einklang zu bringen?

Vorsicht ist angesagt, denn die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie mit ihrer Selbsteinschätzung ziemlich daneben liegen. Folgt man der indisch-stämmigen Harvard-Psychologin Mahzarin Banaji und ihrem Doktorvater Anthony Greenwald von der Universität Washington, dann gibt es in unseren Einstellungen einige blinde Flecken - so wie es auch in der Netzhaut des Auges einen kleinen Bereich gibt, der unempfindlich gegenüber visuellen Reizen ist und Objekte bei entsprechender Platzierung aus unserem Gesichtsfeld verschwinden lässt. Beide Phänomene bleiben in der Regel unbewusst, sofern sie nicht durch Testanleitungen sichtbar gemacht werden.

Eine solche Methode haben Banaji und Greenwald seit den 1990er Jahren entwickelt. Der "Implizite Assoziationstest" (IAT) wurde mittlerweile über 14 Millionen Mal durchgeführt und ist heute zur viel diskutierten "Gesinnungsprobe" geworden. Das Konzept dahinter ist simpel: Je schneller die Testperson stark negative Begriffe, zum Beispiel Hass oder Katastrophe, etwa mit den Gesichtern fettleibiger Menschen in Verbindung bringt, desto negativer bewertet der Proband das Dicksein - oder eben andere Kategorien wie "Senioren"(im Vergleich zu den "Jungen"), "Frauen"(vs. "Männer") oder "Ausländer"(vs. "Inländer").

Subtiler Rassismus

Ein besonderer Fokus des Verfahrens liegt auf der Entlarvung eines subtilen Rassismus, wofür ein eigener Test entwickelt wurde. Die weißen US-Amerikaner, die im Internet und in Laborstudien an diesem Test teilnahmen, hatten in Fragebögen meist angegeben, frei von Ressentiments gegenüber Schwarzen zu sein. Dennoch offenbarte das Ergebnis bei drei Viertel von ihnen entsprechende Vorurteile. Aber auch knapp die Hälfte der schwarzen Teilnehmer zeigte sich negativ gegenüber der eigenen Gruppe voreingenommen. "Seltsamerweise beeinflussen Programmfehler im sozialen Denken nicht nur die Urteile, die wir über andere fällen, sondern auch die über uns selbst", bemerken die Autoren.

In der Fachwelt stieß die Methode auch auf jede Menge Kritik: Von der Reaktionszeit in Millisekunden auf die psychische Einstellung zu schließen, sei aufgrund vieler potenziell manipulierender Faktoren doch zu gewagt, bemängelten Experten. Und ob jemand, der tatsächlich latente Ressentiments hegt, dann auch im Alltag ein diskriminierendes Verhalten an den Tag legt, bleibe letztlich unbewiesen.

Mentale Programmfehler

Die Stoßrichtung ihres Ansatzes ist jedenfalls beachtenswert, wenn man bedenkt, wie unbewusste und ungeprüfte Vorannahmen wesentliche Entscheidungen beeinflussen können: Warum wird jemand von der Polizei angehalten? Warum erhält jemand eine Spitzenposition? Warum wird ein Bankkredit bewilligt oder abgelehnt?

"Hinter jedem Beispiel steht ein Urteil, das eine denkende Person über eine andere trifft", so die Autoren. "An dieser Stelle muss unsere Fahndung nach mentalen Programmfehlern ansetzen." Nicht immer geht das so leicht wie im Fall einiger Symphonieorchester, die in den USA vor Jahrzehnten ein neues Bewerbungsverfahren etablierten. Hinter einem Paravent wurden die vorspielenden Bewerber versteckt. Der langfristige Effekt kam überraschend: Der Anteil der Frauen verdoppelte sich bei den Neubesetzungen von 20 auf 40 Prozent.

Vorurteile

Wie unser Verhalten unbewusst gesteuert wird und was wir dagegen tun können.

Von Mahzarin R. Banaji und Anthony G. Greenwald.

dtv 2015. 285 S., kart., € 17,40

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