Erika Schuster, Präsidentin der Europäischen Föderation Katholischer Erwachsenenbildung, erinnert Karl Strobl.
Können Sie sich noch erinnern, welches literarische Werk, welches Gedicht oder welcher Roman, Sie in Ihrer Schulzeit als Oberstufenschülerin zum Staunen oder Fragen gebracht hat?
Ich denke nach, krame in meinen 19-jährigen Erinnerungen. Da ist viel literarisches Wissen angehäuft, kann von der gewissenhaften Schülerin sofort lexikalisch reproduziert werden - vom Wessobrunner Gebet bis Carl Zuckmayer. Aber bei welcher Lektüre habe ich wirklich gestaunt, von welcher wurde ich geistig aus den Angeln gehoben? Thornton Wilder "Die Brücke von San Luis Rey"! Das Schicksal der fünf Menschen, die beim Einsturz einer Hängebrücke in Peru zufällig gemeinsam sterben, trieb mich damals als 16-Jährige lange um, warf in mir unzählige Fragen auf. Besonders der Schluss: "Da ist ein Land der Lebenden und ein Land der Toten, und die Brücke zwischen ihnen ist die Liebe - das einzige Bleibende, der einzige Sinn."
Msgr. Karl Strobl und ich sind im Nu in ein Gespräch über Zufall und göttliche Vorsehung, Liebe, Tod und Beziehung zwischen Lebenden und Toten verwickelt.
Das maieutische Fragen des Hochschulseelsorgers hat nicht nur in mir, sondern in vielen jungen Menschen, die in der Katholischen Hochschulgemeinde in der Ebendorferstraße in Wien in den 50er und 60er Jahren täglich aus und ein gingen, verborgene Fragen über das Leben, die jüngste Geschichte, die Literatur, die Bildende Kunst, die Naturwissenschaften, den Glauben wachgerufen und zur Sprache gebracht.
In den respektvollen Gesprächen mit ihm auf Augenhöhe näherten wir uns existenziellen Themen, wurde uns Studentinnen und Studenten bewusst, dass Fragen Denken vorantreibt, dass Problembewusstsein und Urteilsfähigkeit der einzelnen Wissenschaft Gesellschaft und Kirche verändern kann.
Wir hatten die Chance zu erfahren, dass das Wesentliche des Studiums nicht die Wiedergabe von Skripten und Büchern ist, sondern innerhalb und zwischen den Fachgebieten in der Fülle des Wissens unterscheiden und entscheiden zu erlernen. Die Mensa, das Studententheater Die Arche, die Kapelle, die Kunstausstellung Geist und Form, die Gesprächsgruppen waren Orte des Fragens und lebendiger geistiger Auseinandersetzung noch vor dem Konzil und vor dem Katholikentag 1962.
Ja: Löscht den Geist nicht aus und auch nicht die Unruhe des Weiterfragens und das Staunen!
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