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„Drachenflieger sind unerheblich“

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Günter Stummvoll, Generalsekretär der Wirtschaftskammer, fordert eine umfassende Pflichtversicherung.

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Günter Stummvoll, Generalsekretär der Wirtschaftskammer, fordert eine umfassende Pflichtversicherung.

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DIEFURCHE: Bis zum Sommer 1995 sollen die Sozialpartner Modelle einer Freizeit- und Haushaltsversicherung ausarbeiten Wer war der Initiator dieser Forderung im Koalitionsübereinkommen?

GÜNTER STUMMVOLL: Das waren wir, die Wirtschaftskammer.

DIEFURCHE: Vorstöße in diese Richtung hat es schon öfter gegeben, ohne Resonanz. Mit welchen Argumenten hatten Sie jetzt Erfolg?

STUMMVOLL: ES stehen jetzt einige Wünsche der Wirtschaft im Arbeitsübereinkommen, die wir schon vor einiger Zeit präsentiert haben. Jetzt hatten wir halt mehr Erfolg. Unser Argument für eine solche Freizeit- und Haushaltsversicherung ist: 1889, als die Unfallversicherung ins lieben gerufen wurde, waren 100 Prozent der geltend gemachten Unfälle Arbeitsunfälle. Wenn Sie sich hingegen jetzt anschauen, wer in den Unfallspitälern liegt, stellen Sie fest, daß nur ein Viertel bis ein Drittel Verletzte durch Arbeitsunfälle sind. Der Rest sind Freizeit- und Haushaltsunfälle (siehe Grafik, Anm. d. Red.). Das Problem besteht darin, daß die gesetzliche Unfallversicherung nach wie vor - wie seit ihrer Gründung — ausschließlich aus Arbeitgeberbeiträgen finanziert wird. Das ist für uns unzumutbar.

Die Unternehmer, die ohnehin schon sehr mit den hohen Arbeitskosten zu kämpfen haben, müssen auch noch die steigenden Freizeitunfälle zahlen. •

DIEFURCHE: Was ist die Alternative? STUMMVOLL: Uns schwebt eine privatwirtschaftliche Lösung vor. Es gibt entsprechende Modelle und Angebote der privaten Versicherungswirtschaft, die wir natürlich bevorzugen würden.

DIEFURCHE: Soll es eine Pflichtversicherung werden?

STUMMVOLL: Ich halte nur die Möglichkeit einer allumfassenden Versicherung für sinnvoll. Allumfassend bedeutet, daß sich jeder - ähnlich wie bei Haftpflichtversicherungen - privat versichern lassen muß.

DIEFURCHE: Hängt die Zustimmung der Wirtschaftskammer an einer Pflichtversicherung?

STUMMVOLL: Nein, unsere Zustimmung hängt davon nicht ab. Aber es ist die vernünftigste Lösung. Außerdem käme bei einer allumfassenden Versicherung der geringste Prämiensatz heraus, weil der Risikoausgleich besser ist als bei anderen Varianten.

DIEFURCHE: ES wird aber für jemanden, der nur mäßig oder gar nicht Sport betreibt, schwer verständlich sein, warum er jetzt mit Extremsport- lem wie Drachenfliegern eine Risikogemeinschaft eingehen soll.

STUMMVOLL: Es gibt natürlich auch Varianten und Modelle einer Versicherung beispielsweise nur für bestimmte Sportarten, Ich halte das aber für einen Unfug. Denn es wären bestimmte Gruppen wieder nicht erfaßt, und wieder müßten die Arbeitgeber etwas draufzahlen. Außerdem wäre eine Versicherung nach Sportarten unglaublich casuistisch. Denn die Gruppe der Drachenflieger und andere, die da immer als extrem erwähnt werden, sind ja unerheblich. Die fallen ja von der Zahl her überhaupt nicht ins Gewicht.

DIEFURCHE: Andere Vorschläge, etwa vom AUVA-Generaldirektor Wilhelm Thiel, zielen auf einen Arbeitnehmerbeitrag als Korrelat zum Arbeitgeberbeitrag ah Wäre das für Sie auch akzeptabel?

STUMMVOLL: Das wäre auch eine Möglichkeit; die eingangs erwähnte wäre uns aber sicherlich lieber. Aber bitte, wenn sie aus ideologischen Gründen nicht möglich ist - dann muß man halt einen Arbeitnehmerbeitrag machen.

DIEFURCHE: Die Wirtschaftskammer und die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt rechnen vor, daß sie für die Behandlung von Nicht-Arbeitsunfällen im Jahr rund eine Milliarde Schilling draufzahlen müssen Warum versuchen Sie nicht, sich gegen diese unkorrekte Kostenzuteilung zu wehren?

STUMMVOLL: Wenn wir das beseitigen wollen, heißt das, man muß um den gleichen Betrag die Krankenver-sicherungsbeiträge erhöhen ...

DIEFURCHE:... eine saubere Lösung... STUMMVOLL: Es wäre sicher eine saubere Lösung zu sagen: Wir haben eine Unfallversicherung für Arbeitsund Wegunfälle und eine Freizeitunfallversicherung.

DIEFURCHE: Warum wird hier nicht angesetzt?

STUMMVOLL: Das ist halt sehr die Frage. Ob man eine Sonderregelung der Spitalsfinanzierung für die Unfallspitäler machen wird? Ich weiß es nicht. Natürlich wäre das auch eine Denkvariante. Aber an sich war ein politischer Konsens schon einmal da, daß man sich anschaut, ob eine solche Freizeitversicherung einen Sinn ergäbe.

DIEFURCHE: Sie haben dabei auch einen Verbündeten in der AUVA. Generaldirektor Thiel will seit Jahren einen solchen Arbeitnehmerbeitrag als Finanzierungsschiene.

STUMMVOLL: Ja. Aber unsere Position war immer klar. Für uns wäre das wirklich nur die zweitbeste Lösung. Denn erstens wären nur die Arbeitnehmer versichert, und andererseits haben wir ja derzeit schon eine Menge privater Unfallversicherungen.

DIEFURCHE: Fühlen Sie sich unter Zeitdruck, daß man sich schon bis zum Sommer einigen soll?

STUMMVOLL: Nein. Wenn der politische Wille vorhanden ist, dann kann man so etwas in zwei, drei Monaten aus dem Boden stampfen. Es gibt ja bereits Modelle der privaten Versicherungswirtschaft. Es wird darüber politische Verhandlungen geben. Aber eines ist klar: Wir wollen unter keinen Umständen, das alles so bleibt, wie es jetzt ist, falls aus ideologischen Gründen keine privatwirtschaftliche Lösung herauskommt.

Das Gesoräch führte

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