"Dummheit und Feigheit paaren sich"

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Die Organisierte Kriminalität aus dem Osten hat ihre Netzwerke in Westeuropa aufgebaut. Laut Europol agieren 3.000 kriminelle Gruppierungen in der EU. Für den russischen Geheimdienst FSB ist Deutschland eines der "wichtigsten Zentren für russische kriminelle Gruppen". Auch Wien ist eine Drehscheibe, sagt der Mafia-Enthüllungsjournalist jürgen roth.

Die Furche: Herr Roth, in Ihrem Buch liest man über die Verwicklung österreichischer Politiker der 90er Jahre in das Netzwerk der georgischen Mafia? Wie stark ist Österreich von der Mafia unterwandert?

Jürgen Roth: Ich werde mich hüten, Österreich als mafiös unterwandert zu bezeichnen. Aber es ist in Österreich nicht anders als in Deutschland: Korruption ist ein zentrales Problem, wird aber in Österreich eher als Kavaliersdelikt behandelt, wenn überhaupt. Mafiös sind die Beziehungssysteme zwischen bestimmten Wirtschaftszweigen und Teilen der politischen Elite. Die illegale Ökonomie ist mit der legalen Wirtschaft vielfältig verwoben. Ein Hinweis: Öl- und Erdgasgeschäfte mit Russland und anderen Ländern der Ex-UdSSR - und da hat Österreich Geschäftspartner - sind fast immer mit kriminellen Strukturen verbunden. Ausnahmen sind mir nicht bekannt. Generell verschwimmen die Grenzen zwischen Verbrechen und Politik auch in den traditionell demokratischen westlichen Staaten.

Die Furche: Was macht Westeuropa so attraktiv für diese Verbrecherstrukturen?

Roth: Hier ist die Möglichkeit gegeben, Milliardengelder aus verbrecherischen Tätigkeiten zu investieren, hier können die Gelder legalisiert werden, und es lebt sich vergleichsweise sicher und komfortabel.

Die Furche: Wo sind die Schwachstellen im EU-Sicherheitssystem?

Roth: Eine Schwachstelle ist, dass unsere Regierungen zu willfährigen Ausführungsorganen von Marktinteressen degenerieren. Und da spielt Organisierte Kriminalität eine immer wichtigere Rolle. Es fehlt der politische Wille, der Polizei und der Staatsanwaltschaft die finanziellen und personellen Ressourcen sowie politische Rückendeckung zur Verfügung zu stellen, um Organisierte Kriminalität wirksam zu bekämpfen.

Die Furche: Welche Gefahren birgt in diesem Zusammenhang die EU-Erweiterung?

Roth: In den Beitrittsländern ist Korruption ein strukturelles Problem. Die Anbindung an kriminelle Großorganisationen ist eher die Regel als die Ausnahme. Die Privatisierung der Wirtschaft zum Beispiel in Ungarn oder Tschechien wurde größtenteils durch kriminelle Paten durchgeführt. Das führt dazu, dass der freie Wettbewerb ausgehebelt wurde und wird. Der Sklavenhandel wird weiter blühen. Die größte Gefahr droht von den Ländern, die 2007 der EU beitreten werden, insbesondere Bulgarien und alle Balkanstaaten.

Die Furche: Wenn die Gefahr so groß ist, warum wird darüber ziemlich geschwiegen?

Roth: Die EU-Osterweiterung ist politisch gewollt. Ich will sie auch, weil es keine Alternative gibt. Aber man sollte der Bevölkerung die großen Sicherheitsprobleme nicht verschweigen.

Die Furche: Befasst sich die EU ausreichend mit dem Thema Organisierte Kriminalität?

Roth: Eigentlich ja. Aber noch gibt es zu viele unterschiedliche Interessen in Europa und entsprechend fehlende oder mangelhafte Kooperation. Organisierte und Wirtschaftskriminalität wird eher verwaltet, aber nicht mehr effektiv bekämpft.

Die Furche: Man könnte Ihnen auch Panikmache vorwerfen. Wie würden Sie dem begegnen?

Roth: Der Vorwurf trifft mich am wenigsten. Ich belege meine Behauptungen genau. Organisierte Kriminalität wird als ein Igitt-Thema behandelt: irgendwie anrüchig, nicht greifbar, etwas schmuddelig. Dabei ist es das gefährliche Krebsgeschwür jeder Demokratie. Und die stromlinienförmig gestalteten Medien weigern sich, dieses Thema zu verfolgen, weil nur Morde und nackte Prostituierte für die Problemdarstellung unterhaltsam sind. Organisierte Wirtschaftskriminalität spielt in Banken, Unternehmensetagen, in der Börse, auf internationalen Kapitalmärkten, ist aber schlecht abbildbar und mit hohem Prozessrisiko behaftet. Also lässt man die Finger davon. Dummheit und Feigheit paaren sich. Hintergründe und Analysen sind out.

Die Furche: Mit welchen Deliktsparten haben wir es in Österreich, Deutschland zu tun?

Roth: Mit allen traditionellen Delikten wie Drogen- und Waffenhandel, Menschenhandel, Mord, Korruption, Erpressung, Betrug. Aber in gleichem Umfang Geldwäsche, Subventionsbetrug, Aktienbetrug, die Einbindung in das legale Wirtschaftsleben und Versuche der politischen Einflussnahme von kriminellen Syndikaten.

Die Furche: Laut jüngstem Europol-Report ist die von früher bekannte ethnische Homogenität von Verbrecherbanden im Verschwinden.

Roth: In der Tat, Organisierte Kriminalität ist zunehmend international vernetzt. Albanische kriminelle Clans arbeiten mit der russischen Tambovskaja aus St. Petersburg zusammen. Belgrader kriminelle Clans mit kolumbianischen Drogenkartellen, und die kooperieren mit der usbekischen Mafia. Es geht teilweise nur um ein einziges Geschäft, dann lösen sich die Kooperationen wieder.

Die Furche: Dem Bundeskriminalamt in Wien liegen "erkennbare Verbindungen" zwischen Terrororganisationen und mafiosen Verbrecherbanden vor.

Roth: Ich schätze die Gefahr hoch ein. Nicht nur Geldwäsche ist ein gemeinsamer krimineller Nenner, auch der Waffen- und Drogenhandel. Terroristen können ohne Verbrecherbanden heute überhaupt nicht agieren. Und: Krieg wird zunehmend ein Mittel des Verbrechens.

Die Furche: Was war die größte Desillusionierung in Ihrer Arbeit?

Roth: Die Blauäugigkeit und Dummheit der so genannten politischen Elite. Ich hatte gehofft, dass ethische Aspekte in der Politik eine Rolle spielen - das ist nicht der Fall. Ich erkenne, dass man noch so viel aufklären kann, ohne dass sich etwas bewegt.

Die Furche: Welchen Gefahren sind Sie durch Ihre Arbeit ausgesetzt?

Roth: Es gab keine gefährlichen Situationen. Ich bin überzeugt, dass die Leute, mit denen ich mich beschäftige, gute Geschäftsleute sind. Ein Mord bringt ihnen nichts. Da muss ja die Polizei ermitteln, und das genau wollen sie vermeiden. Geschickter ist es, Anwälte einzuschalten und die Kritiker mundtot zu klagen.

Das Gespräch führte Eduard Steiner.

Investigativer Wachrüttler

Jürgen Roth ist einer der bekanntesten Vertreter des investigativen Journalismus in Deutschland. Seit 1971 veröffentlicht der Frankfurter Journalist und Sachbuchautor seine brisanten TV-Dokumentationen und höchst erfolgreichen Bücher. Seit fast 20 Jahren recherchiert und publiziert er über die Machenschaften der Ostmafia und ihre Kooperationspartner besonders in Westeuropa. Zu den bekanntesten Werken zählen "Die Russenmafia", "Die roten Bosse - Wie kriminelle Konzerne die GUS-Staaten beherrschen". Auch Roths jüngstes Buch bleibt im Themenspektrum des Autors: "Die Gangster aus dem Osten. Neue Wege der Kriminalität. Europa Verlag, Hamburg/Wien, August 2003". Der Präsident der Europäischen Polizeigewerkschaften, Hermann Lutz, schreibt im Nachwort zu diesem Buch: "Eine Bestandsaufnahme des realen Zustandes all der Länder in unserer unmittelbaren Nähe, die eine größere Gefahr für unsere demokratischen Staatswesen darstellen als der Terrorismus der vergangenen Jahrzehnte... Wenn es Jürgen Roth in diesem Buch gelungen ist, Ausmaß und Qualität der Organisierten Kriminalität aus dem Dunkeln in unser aller Leben zu bringen, wie schockierend muss dann erst die Realität aussehen? Mehr als Jürgen Roth kann man wahrlich nicht tun, um wachzurütteln." (www.juergen-roth.com)

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