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Die Gefahr eines Interregnums
Der neue Präsident kam aus dem Süden, wurde aber im Laufe seines Lebens immer mehr zu einem Mann des Westens. Dies erleichterte es ihm, sich für das Programm rassischer Gleichberechtigung seines Vorgängers entschieden einzusetzen. Dies schadete ihm unter den südlichen Massen bereits, als er noch Vizepräsident war. In Texas war er mehr verhaßt als Kennedy. Trotzdem muß er einen Abfall des
Südens weniger befürchten, einerseits, weil die Parteiführer im Kongreß ihm eng verbunden sind, anderseits, weil die Blutgier des hassenden Pöbels vorläufig befriedigt ist.
Beim Begräbnis Präsident Kennedys schworen beide Parteien einen Burgfrieden. Wie erwartet, war dieser nur von kurzer Dauer. Die Republikaner beschuldigen die Demokraten, ihn nicht eingehalten zu haben und bereiten sich zum Gegenangriff vor. Im übrigen lehnen sie selbstzufrieden die Meinung der Fortschrittlichen, die Nation müsse nach dem Mord ihr Gewissen prüfen, ab. Sie nehmen gerne Oswald als Einzelgänger hin, um die Nation von jeder Mitschuld freizusprechen. Die nationalistischen Elemente dagegen sehen in Oswald einen typischen Kommunisten und verlangen die Ausrottung der „roten Ratten“.
So wird Präsident Johnson, der die Zügel der Regierung mit Geschick und Entschlossenheit in die Hände genommen hat, bald schwere Proben bestehen müssen. Bekanntlich hat er vor über acht Jahren einen Herzinfarkt erlitten. Da es keinen Vizepräsidenten bis zu den Wahlen gibt, ist der Sprecher des Repräsentantenhauses der designierte Nachfolger des Präsidenten. Daher kann sich die Nation nicht mehr in der Sicherheit wiegen, mit der Kennedys äußerlich strahlende Jugend sie erfüllte. Der Sprecher ist nämlich ein 72jähriger Durchschnittspolitiker. Gelangt er ins Weiße Haus, herrscht ein Interregnum. Doch welch gefährliche Möglichkeiten brächte eine solche Lähmung der stärksten Nation des Westens mit sich!
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