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Ins westliche Ausland ist verspätet die Ausgabe der nordböhmischen kommunistischen Zeitung „Prboj“ („Durchschlag“) vom 26. August 1968 gelangt, die einen offenen Brief an den Staatsratsvorsitzenden der DDR Walter Ulbricht enthält. „Ich beschuldige Sie“, heißt es darin, „eine Tat begangen zu haben, die das Völkerrecht als Kriegsverbrechen bezeichnet; ich beschuldige Sie, daß Si w den Sozialismus verraten haben “ Die fünf Punkte des Briefes; mit— denen der Autor seine Beschuldigung begründet, lauten:

„I. Da mit Ihrem Lande bisher kein Friedensvertrag abgeschlossen wurde, haben Sie durch die Entsendung von Soldaten in ein Land der Anti-Hitler-Koalition de facto den Kriegszustand mit der CSSR erneuert.

2. Durch Beteiligung Ihrer Soldaten an einer bewaffneten Aktion gegen die CSSR, einen Staat, der ein Teil der Alliierten Streitkräfte im zweiten Weltkrieg gewesen ist, haben Sie in gröblicher Weise das Abkommen von Potsdam und alle sich daraus ergebenden Verpflichtungen verletzt.

3. Durch die Entsendung von Streitkräften der DDR in die CSSR gegen den Willen unserer gesetzlichen Organe haben Sie dem deutschen Volk erneut den Makel des Aggressors aufgeprägt und das Bild der DDR als „erster friedliebender deutscher Staat“ vernichtet.

4. Durch Ihre Entscheidung über die Beteiligung deutscher Soldaten an der Okkupation der CSSR haben Sie die langen Bemühungen der gesamten sozialistischen Welt um eine internationale juristische Anerkennung der DDR abgewertet.

5. Durch Ihre Entscheidung, die Tschechoslowakei militärisch mit zu überfallen, haben Sie die Bemühungen aller anständigen demokratischen Deutschen, die Folgen der Taten Hitlers gutzumachen, entwertet. Sind Sie sich überhaupt klar darüber, wie sehr in den Augen der ganzen Welt und besonders des tschechischen Volkes der Überfall Ihrer Soldaten an den Überfall Hitlers 1939 erinnert? Wollen Sie etwa, daß in Zukunft deutsche Touristen nicht nur nach Theresienstadt und Lidice reisen, um sich vor den Toten zu verneigen, sondern auch zu den Ehrenmalen der Okkupation von 1968?"

Der Brief spricht die Hoffnung aus, daß das Volk in der DDR der Entscheidung Ulbrichts nicht zustimme und durch seinen Widerstand die Schande von Ulbrichts Tat zu tilgen versuche.

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