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Abstrakter Zauber

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Über „Unnatur und Spiel in der modernen Dichtung“ sprach der bekannte Literaturhistoriker Prof. Walter Müsch j (Basel), im Forum des Burgtheaters und schloß seine fesselnde Bestandsaufnahme mit einem bemerkenswerten Satz des deutschen Malers Ernst Ludwig Kirchner: ,,Das Schaffen in .der Erkenntnis“ braucht mehr Kraft als das in Träumen“. Der Redner umriß“ in großen Zügen die Entwicklung der naiven Naturauffassung, die seit der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert vorherrschend war. Aber schon in der Romantik wurde die Naturgläubigkeit bedroht, ergaben sich Zweifel am Sinn der Schöpfung und Ansätze zum Nihilismus. Von Anfang an neigte sie auch zum Spiel mit der Sprache und den Figuren der Phantasie, denn der Dichter abstrahiert immer schöpferisch von der Wirklichkeit. Der Prozeß der zunehmend radikalen Entfremdung von der Natur zur Un-Natur dauert bis in unsere Tage der Auflösung der Formen in AntiRoman, Anti-Drama, Anti-Lyrik. Dafür wächst die mittels der Sprache der Dichter aufgelöste Wirklichkeit „gigantisch über uns hinaus und droht uns zu vernichten“. Den Schöpferischen — nicht den .Mitläufern einer international manipulierten Literatur“ — bleibt so nur die Abstraktion von der Wirklichkeit als das ihnen einzig Mögliche, als ihre zweite Natur, ihre wahre Freiheit. Gilt aber doch nicht am Ende auch der Satz von Albert Camus: „Jenseits des Nihilismus bereiten wir alle inmitten der Ruinen eine Renaissance vor. Aber wenige wissen es“?

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