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Von 12. Juli bis 12. August ist die Welt des Tanzes beim ImpulsTanz-Festival in Wien zu Gast.

Eine Anhöhe aus Stofflappen in sensiblem Weiß. Ein Recyclinghügel? Oder doch die Flügel eines gestürzten Engels? - Ein gar seltsames Bühnenbild jedenfalls, in dem ein verrücktes Mädchen hängt; die Arme hinter dem Rücken verdreht; sich die Schultern auskegelnd, um sich aus der misslichen Lage zu befreien. - Eine Selbstverstümmelung, verstörend schön.

vsprs nennt einer der letzten Heiligen des Kulturbetriebs, der flämische Choreograph Alain Platel, sein jüngstes Opus, das er im Juni im Theater an der Wien zeigte. Dafür zertrümmert er eine 400 Jahre alte sakrale Musik Monteverdis, die Marienvesper, ganz ungeniert.

Da rennt, stürzt, kämpft, ruckt und zuckt sich ein grandioses Tänzerensemble ins kalte Feuer seiner Recherche nach dem verlorenen Glauben. Sie müssen fallen und wollen doch Verzückung erzwingen. Autisten, Märtyrer, Flüchtlinge, Hysteriker, Verdammte in Straßenkleidung: Sie stehen auch in der Gruppe allein. Wo will das hin? Wie soll das enden?

Weltweit einmalig

Jedenfalls war es ein gelungenes Vorspiel zu ImPulsTanz 2007: Von 12. Juli bis 12. August kann man sich in Wien einmal mehr dem Bühnentanz überlassen. "ImPulsTanz" - das ist in seiner inzwischen 23. Ausgabe ein Ereignis von sogar weltweit einmaliger Fülle.

Die Auswahl fällt schwer. Bleiben wir in Belgien: Alain Platels Landsmann Wim Vandekeybus feiert das 20-jährige Jubiläum seiner Truppe Ultima Vez mit einem Blick nach vorn wie auch zurück in seinen Spiegel - einer anachronistischen Szenenfolge, die dem stilistischen Reinheitsgebot voll und ganz entspricht: Auf der Bühne steht nichts. Erzählt wird auch nichts. Bloß: Raumkrümmung, extreme Bewegung, Geschwindigkeit pur - Tanz wie für Einsteins Relativitätstheorie. (18., 20. 8., Volkstheater).

Straucheln und stolpern

Meg Stuart, in ihrer Rebellion gegen den "schönen Tanz" eine der radikalsten Choreografinnen der Gegenwart, wird sich mit It's Not Funny, dem "Supergau der Peinlichkeit", einstellen, letztes Jahr in Salzburg gezeigt: Jeder muss straucheln, alles wird aufs Korn genommen. Akteure stolpern über Worte wie über Treppen, und die portugiesische Ballerina Vania Rovisco sucht im Publikum nach Männern mit zwei Penissen und Frauen mit haarigen Brüsten. (22. 7., Volkstheater).

Anne Teresa de Keersmaeker, eine der "leiseren" Idole des Modern Dance, war zuletzt mit einer verklärten Umarmung der Nacht im Theater an der Wien zu sehen, tosender Applaus inbegriffen. Im Juli wird ihre "Rosas"-Truppe erstmals Sisters vorführen: eine heroische Reise durchs eigene œuvre. Fumiyo Ikeda, seit 20 Jahren eine der Startänzerinnen Keersmaekers, gibt die Muse in einer vom Franzosen Vincent Dunoyer erarbeiteten Hommage. (14., 16. 7., Volkstheater).

Jene Fumiyo Ikeda wird auch in Nine Fingers agieren, einer Produktion, die sie gemeinsam mit erwähntem Alain Platel und dem Schauspieler Benjamin Verdonck entwickelte, basierend auf dem eindringlichen Roman Beasts Of a Nation des Afroamerikaners Uzodinma Iweala: der Geschichte eines afrikanischen Jungen in einem der zahllosen schmutzigen Kriege des Kontinents. Agu wird von einem verlotterten Rebellentrupp als Kindersoldat rekrutiert und mittels der Droge "Gun Juice" zum Töten geputscht.

Die Bühne ist mit zwei plastik-umwickelten Stangen und einer Matratze nur karg geschmückt. Platel, Ikeda und Verdonck spielen darauf mit vollem Körpereinsatz "armes Theater". Verdonck schreit, kreischt, spuckt Romanfragmente ins Mikrofon, atemlos und ausgelaugt, ganz die Marionette seines Kommandanten. Ikeda wiederum hat keinen Text, sie ist ganz Körper, ohne Knochen, ohne Schwerkraft. Im geblümten Nylonkleidchen haucht sie Verstörung, faltet den Rumpf, schüttelt Arme und Beine. Sie ist nicht die Frau zu Agu/Verdonck, sie ist die bewegte Verdoppelung. Auf die entscheidende Frage: "Was denkst du?" weiß der Zuschauer bis zum Schluss keine Antwort. Choreograph Platel auch nicht. Er hält sich fest am Konkreten, auch wenn es unerträglich grausam ist. (17., 19. 7., Schauspielhaus).

Klassik transformiert

Für ein Highlight immer gut sind Eduard Lock und seine Kompanie "La La La Human Steps". Sie gastieren mit Amjad, einer Collage aus transformierten Motiven aus den Ballettklassikern Schwanensee und Dornröschen - eine Neuerfindung des romantischen Balletts ebenso wie seine Kontradiktion. (7., 9. 8., Burgtheater).

Es gibt dann noch wilde Amerikanerinnen, zerstreute Ikonen, den jungen Apoll. Es gibt Noor, die Unbekümmerte. Einen Napoleon des Ausdruckstanzes. Gestalten aus der Plakatwerbung, "stylisch" und "new". Unmöglich, sie alle aufzuzählen: Insgesamt sind es 85 Vorstellungen mit 40 einzelnen Produktionen.

Lokale Tanzgrößen

Zuletzt noch zu erwähnen: ein Block mit lokalen Wiener Tanzgrößen. Chris Haring & Liquid Loft zeigen Posing Project B, bei der Tanzbiennale in Venedig zum Thema Body & Eros zu sehen gewesen. Harings Eros will freilich mehr: Hier gilt es, eine ganze Welt zu verführen. (8., 10. 8., Semperdepot). Dann die in Österreich lebende Japanerin Akemi Takeya. Sie streckt ihre Feeler aus. (5. 8., Semperdepot). Hubert Lepka wiederum, der Maschinist aus Leidenschaft, macht in love turn eine schnittige Limousine zum Theaterraum. Der Duft von Benzin und Anna Karenina liegt in der Luft. (24., 26., 27. 7., MQ Haupteingang).

"Tanz ist kein Parfum", sagt Wim Vandekeybus. "Tanz ist Alkohol." Soll sagen: Parfum macht nicht süchtig, dringt nicht in den Körper ein, ist Oberfläche, ist Lüge. Tanz ist das heißblütige Gegenteil.

Die Autorin ist freie Autorin und Journalistin.

Info: http:// www.impulstanz.com/ festival07/performances/

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