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PERCY ERNST SCHRAMM/EIN DEUTSCHER HISTORIKER

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Bei de vom Institut für österreichische Geschichtsforschung anläßlich der Jahrtausendfeier der Kaiserkrönung Ottos des Großen veranstalteten Gastvorlesungen sprach als erster ausländischer Gast Percy Ernst Schramm, ord. Professor der Universität Göttingen, Mitglied der Akademien der Wissenschaften zu Göttingen, München, Spoleto, Stockholm und Wien, Ehrenmitglied des Instituts für österreichische Geschichtsforschung und der Medieval Academy of America, Pour le Merite für Wissenschaft und Kunst, über das Thema: „Otto I. im Lichte der Staatssymbolik“.

Eine wissenschaftliche Arbeit von 1960 von Annelies Ritter umfaßt auf 97 Seiten die Publikationen Schramms. Dieser deutsche Gelehrte hat einen beträchtlichen Teil seiner Lebensarbeit mittelalterlichen Herrschaftszeichen, den Kronen und lnsignien des alteuropäischen Königtums in Frankreich, England, Spanien, Deutschland und darüber hinaus gewidmet.

Derselbe Percy Ernst Schramm hielt nun in Wien noch einen zweiten Vortrag. Thema: Adolf Hitler.

Wie kommt dieser Mediävalist zu dieser Spannweite der Forschungsgegenstände? Nun, er ist in Göttingen Professor für mittlere und neuere Geschichte, hat also eben auch akademisch das Recht und den Anlaß, sich mit einem so spinösen Thema zu befassen. Uns aber geht es in dieser Skizze, die keine umfassende Würdigung einer Forscherpersönlichkeit leisten kann, um ein anderes: um den Hinweis auf einen deutschen Gelehrten, der die Zeichen der Zeit verstanden hat. Percy Ernst Schramm stammt aus Hamburger Patrizierfamilien, die in der Regierung des Stadtstaates sich rühmlich bewährt haben. Sein erster Vorname deutet im „deutschen London“, wie Hamburg oft genannt wurde, auf englische Beziehungen hin, die seit Jahrhunderten den politischen Geist in Hamburg geprägt haben: einen Geist der Freiheit, des Freiheitswillens.

Percy Ernst Schramm vertritt heute in der Bundesrepublik Deutschland eine im besten Sinne des Wortes politisch engagierte Forschung und Wissenschaft. Zwei Hauptthemen behandelt er auf Kongressen, Tagungen und Gastvorlesungen in besonderem Maße: die deutsch-französische Zusammenarbeit und eine Klärung der deutsch-polnischen Beziehungen.

Dieses Engagement in der Zeitgeschichte ist in seinem ganzen schweren Ernst, der Kühle der wissenschaftlichen Forschung und Darstellung mit Kühnheit der Formulierungen und Forderungen verbindet, nur zu verstehen aus der Lebensgeschichte dieses Hamburger Historikers im letzten Weltkrieg.

Der Major der Reserve Percy Ernst Schramm war seit 1943 im „Führerhauptquartier“ tätig und wurde als Kriegstagebuchführer des Oberkommandos der Wehrmacht der „Notar“ der deutschen Katastrophe, wie er selbst schreibt. Der Chronist früh- und hochmittelalterlicher Kaiser- und Königskrönungen wurde vom Schicksal zu einem der bedeutendsten wissenschaftlichen Nachlaßverwalter der Kriegsgeschichte des Dritten Reiches bestellt.

Diese Verpflichtung nimmt Schramm nicht nur persönlich, sondern gerade auch in der Anleitung seiner Schüler wahr. Ulrich Eichstädts „Der Anschluß Österreichs“

(1955), Andreas Hillgrubers „Deutschland und Rumänien 2 939 bis 1944“ (1954), Hans Adolf Jacobsens „Die deutschen militärischen Planungen zum Einfall in Holland, Belgien und Luxemburg“ (1956,) und Gerhard Meincks „Hitler und die deutsche Aufrüstung 1933 bis 1937“ (1959) zeigen, daß hier heiße Eisen der deutschen Geschichte jüngster Vergangenheit angefaßt werden. Damit stehen wir bereits uns selbst gegenüber: Wir Österreicher schulden diesem deutschen Historiker großen und aufrichtigen Dank. Deutschlands Jugend wird morgen und übermorgen (soweit dies nicht bereits in Ansätzen heute geschieht) sich ein anderes, wahreres Bild von der Geschichte Deutschlands machen können, als jenes, das „österreichische“ Geschichtslehrer dem jungen Hitler in Linz — ihm und vielen nach ihm — vorstellten.

Percy Ernst Schramm ist, vom national-liberalen deutschen Konservativismus herkommend, den Weg eines entschiedenen deutschen Patriotismus gegangen, der immer stärker aus den bitteren Erfahrungen der Vergangenheit für Deutschland, für die europäischen Nationen, die Verständigung, die Zusammenarbeit postuliert. In diesem Sinne darf dieser deutsche Gelehrte gerade auch jüngeren Österreichern ah ein Vorbild vorgestellt werden.

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