6535410-1946_13_05.jpg
Digital In Arbeit

Europäische Kunstwissenschaft in Amerika

Werbung
Werbung
Werbung

In den Jahren seit 1933 übersiedelte eine große Anzahl ansehnlicher Kunstwissenschaftler nach Amerika. Mit ihnen gelangte eine Fülle von praktischer Erfahrung, Kenntnissen und Arbeitskraft aus einem Gebiet, das gerade in den letzten Jahrzehnten immer differenzierter entwickelt und nach neuen Gesichtspunkten orientiert wurde, auf den neuen Kontinent. Es sind Namen darunter von internationalem Ruf, Gelehrte und Künstler, die schon früher mit ihren amerikanischen Kollegen in reger Verbindung standen. Auch sie wurden freundlich aufgenommen und fanden schnell Möglichkeiten für die Fortsetzung ihrer wissensdiaftlichen Arbeiten. Gegenwärtig nehmen sie leitende Stellungen in den! amerikanischen Museen und Hochschulen ein. Es befinden sich zahleriche Leiter deutscher Museen unter ihnen, wie die Direk-j toren der Berliner Nationalgalerie, des Museums in Hannover des Kölner Kunstgewerbemuseums und des Berliner Kupfer-stichkabinettes. Der Künsthistoriker und Museumsfachmann Georg Sarwensky, Universitätsprofessor in Frankfurt am Main und dessen Sohn, ehemals Assistent an der ostasiatischen Abteilung der Berliner Museen, ferner der frühere Hamburger Ordinarius Erwin Panofsky lehren an amerikanisdien Universitäten. Letzterer hat im vorigen Jahre in Princetown sein zweibändiges Werk über Albrecht Dürer in englischer Sprache veröffentlicht. Andere Forscher, wie Dr. W. Friedländer, bekannt durch seine Schriften über Poussin und Claude Larrain, früher Extraordinarius in Freiburg i. B., Dr. R. Krautheimer, Privatdozent in Marburg und Spezialist für Baukunst des Mittelalters, Professor Lehmann-Hartleben, gleichfalls Architekturhistöriker, J. Held, Assistent am Berliner Kaiser-Friedrich-Museum. Ernst Schreyer vom Museum Breslau, Guido Schönberger vom Frankfurter Museum, Hermann Gundersheimer, Georg Karo, früher Direktor des deutsdien archäologischen Institutes in Athen, lehren jetzt an den Universitäten von New York, Detroit, Pennsylvania, am Barnard College und Vassar College.

Österreichs großer Beitrag

Auch von österreichischen Kunstgelchrten ist eine große Anzahl über den Ozean gewandert. Hans T i e t z e, der hervorragende Wiener Kunsthistoriker, ist durch die Bearbeitung und Veröffentlichung versdiie-dener wissenschaftlicher Aufgaben in New York hervorgetreten, Gustav Glück, der ehemalige Direktor des Kunsthistorischen Museums in Wien, lebt jetzt in seinem hohen Alter seinen wissenschaftlichen Studien im Westen der Vereinigten Staaten.

Heinrich Schwarz, von den Galerien des Wiener Belvedere, arbeitet in Providence, und Dr. Otto Benesch von der Albertina in Princetown. Nicht zu vergessen sind zahl-reidie hodiqualifizierte Arbeitskräfte der ehemaligen österreichischen Staatsdruckerei, die durch die Entwicklung neuartiger Verfahren in der Farbreproduktion das hohe Ansehen der österreichischen Staatsdruckerei begründen halfen und die, nachdem ihre Kunstabteilung durch den Nationalsozialismus aufgelöst worden war, ihr hohes Können den amerikanischen Verlagen und Kunstanstalten zur Verfügung stellten. Die ersten Reproduktionen, die nach diesem Kriege aus Amerika zu uns kommen, zeigen in ihrer technischen Vollkommenheit die weitgehende Befruchtung, die der neue Erdteil auch aus diesem Sektor von Europa empfangen hat. Von den Kunstverlegern, die emigrierten und im Ausland ihre großen bibliophilen Kenntnisse und Erfahrungen weiterentwickeln konnten, sei nur an die Herausgeber der Kunstbücher des Wiener Phaidon-Verlages erinnert, die in London den Verlag weiterführen. Welche Wertschätzung diese Bücher genießen, beweisen die letzten Wiener Bücher-Auktionen, bei denen für einzelne Bände dieses Verlages fast das Hundertfache ihres ehemaligen Verkaufspreises geboten wurde!

Der westliche Kontinent erhielt durch die Emigration, insbesondere aus den Reihen der Wissenschaft ein geistiges Potential aus Europa, das viele der deutschen Kriegs-öptimisten, zumindest aus den Reihen der Intelligenz, hätte aufhorchen lassen müssen, in der Erkenntnis, daß Deutschland durch seine Intransigenz seinen Gegnern die mächtigste Waffe des modernen Krieges, die Geistigkeit, auslieferte und damit der Krieg für Deutschland verloren war, bevor er noch begonnen hatte. Auf dem Gebiete der Kunst ist Amerika weiterbestrebt, die Scherben der alten europäischen Kultur zu sammeln und sie mit seiner mächtigen jungen Zivilisation zu verbinden. Es hat vielen, die verfolgt wurden, eine neue Heimat und einen neuen Nährboden für ihre Arbeit gegeben. Die meisten von denen, die emigriert sind, werden kaum nach Europa zurückkehren. Trotzdem ist zu hoffen, daß unter den geänderten Verhältnissen die besten unter ihnen sich ihrer alten Heimat erinnern und als. Pioniere des „geistigen Wiederaufbaues“ ihre Mitarbeit nicht versagen werden

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung