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Bart, Turban und Armring

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Während der heftigen Auseinandersetzungen mit Pakistan und dem Riesenschatten Chinas hat die indische Regierung auch an der innenpolitischen Front schwierige Probleme zu lösen.

Im nordindischen Staat Punjab verlangt der von einem großen'Teil der Sikh-Religionsgemeinschaft als Führer anerkannte Sant Fateh Singh die Schaffung eines neuen Gliedstaates. Wie der Sant erklärt, wird er am 10. September mit dem Fasten bis zum Tode beginnen, wenn die Zentralregierung bis dahin seine Forderung nicht erfüllt hat. Zwei Wochen später will er sich dann nach dem Vorbild buddhistischer Mönche Südvietnams im Goldenen Tempel in Amritsar lebendigen Leibes verbrennen, an einem Festtag, an dem gewöhnlich mehr als 100.000 Gläubige zu diesem Heiligtum strömen.

Die Folgen eines solchen Todes Fateh Singhs wären vermutlich blutige Unruhen in dem an Kaschmir grenzenden Punjab. Auch auf die sehr zahlreichen Sikhs der indischen Armee dürfte eine solche Entwicklung nicht ohne Einfluß bleiben.

Arbeiter, Bauern, Soldaten

Trotz ihres kleinen Anteils an der Gesamtbevölkerung bilden die fünf Millionen Sikhs ein bedeutendes Element in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Indiens. Schon äußerlich stechen sie hervor durch ihren Bart, den Turban und einen eisernen Armring. Sie gelten als harte Arbeiter, gute Bauern, geschickte Taxifahrer und hervorragende Soldaten.

Nach langen Kämpfen gegen die mohammedanischen Moghul-Kaiser beherrschten die Sikhs Ende des 18. Jahrhunderts große Teile Nordindiens, wurden dann aber in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts von den Engländern geschlagen und dem britisch-indischen Reich eingegliedert. Während und nach der Teilung Indiens 1947 sind von ihnen wiederholt Versuche unternommen worden, einen neuen Sikh-Staat zu schaffen. Besonders unterstützt wurde dieses Verlangen von den mehr als zwei Millionen Sikhs, die 1947 von Pakistan in den indischen Teil des Punjabs auswanderten.

Der indische Punjab besteht heute aus einer Punjabi sprechenden und einer Hindi sprechenden Religion. Was Sant Fateh Singh nun fordert, ist die Bildung eines ausschließlich Punjabi sprechenden Gliedstaates, in dem der Anteil der Sikhs etwa 50 Prozent betragen würde. Die Sikhs hoffen, in einem solchen Staat ihre gefährdete Eigenart besser bewahren zu können.

Nachdem alle übrigen indischen Gliedstaaten gemäß einer einzigen Hauptsprache aufgeteilt sind, erscheint die Forderung des Sants als durchaus gerecht. Da es aber den Sikhs zugegebenermaßen weniger um die sprachliche Einheit als um einen Staat mit beherrschendem Sikh-Einfluß geht, ist die Zentralregierung kaum bereit, ihrem Wunsch nachzugeben.

Der notwendige Kompromiß

Zahlreiche Vermittlungsgespräche zwischen dem Sant und der Regierung sind zur Zeit im Gange. Die Regierung wird sich unter Umständen entschließen, als Kompromißlösung Punjabi zur einzigen offiziellen Sprache des gegenwärtigen Punjabs zu erklären. Wie Sant Fateh Singh nahestehende Kreise feststellen, wird dies aber nicht genügen, ihn von seiner geplanten Selbstverbrennung abzuhalten.

Soweit sich die Forderung des Sant auf die sprachliche Einheit stützt, ist sein Anliegen verständlich. Einen eigentlichen Sikh-Glied-staat wird aber das religionsneutrale Indien nicht zulassen können. Der Zeitpunkt des Fastens des Sants ist höchst unglücklich gewählt. In der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit Pakistan und bei der bleibenden Bedrohung durch China darf es sich Indien nicht leisten, auch noch im Inneren eine Kampffront zu eröffnen. Es ist zu hoffen, daß in letzter Stunde eine Lösung gefunden wird.

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