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Ingrid Pfeiffer über Literatur in österreichischen Zeitschriften von 1945-1948.

Als Österreich 1945 zugleich befreit und besetzt wurde, war man hierzulande sowohl von Anschlussphantasien als auch von jener Spielart des Patriotismus geheilt, den der kurzlebige Austrofaschismus propagiert hatte. Zum ersten Mal in der Geschichte ohne Zweifel am Existenzrecht des kleinen Österreich - das war ein Anfang, der unter schwierigsten materiellen Bedingungen eine Eruption kultureller Kreativität auslöste. Drei Jahre dauerte die hohe Zeit, da man - unterernährt und ohne Geld - auf schlechtem Papier Literatur publizierte.

Diesem knappen Zeitraum widmet Ingrid Pfeiffer ihr Buch. Neue Zeitschriften druckten nun ab, was in den Schubladen verfemter Schriftsteller versteckt war, was an Weltliteratur hereinkam und was eine neue Generation zu schreiben anfing. Sieben dieser Zeitschriften bilden das Herzstück von Pfeiffers Recherche: Otto Basils Plan, Ernst Schönwieses Silberboot, Hermann Hakels Lynkeus und der Turm der zur ÖVP zählenden "Österreichischen Kulturvereinigung" unterschieden sich in der Gewichtung, die sie der Vergangenheit oder der Nachkriegsliteratur zuteilten. Ihre bürgerliche Ausrichtung teilten sie mit Wort und Wahrheit, gegründet von Otto Mauer und Karl Strobl. Klar links orientiert waren der Strom unter der Leitung von Peter Rubel und das Österreichische Tagebuch des kommunistischen Globus-Verlags. Die meisten dieser Blätter überlebten die Währungsreform von 1947 nicht. Die "Österreichische Kulturvereinigung" gibt es bis heute, Wort und Wahrheit existierte bis zum Tod Otto Mauers 1973 und das Silberboot erfuhr einen Wiederbelebungsversuch in den 50er Jahren. Nur Lynkeus gab es nach langer Pause noch einmal ein knappes Jahrzehnt von 1979 bis 1987.

Die Zeitschriften sind voll von Wiederentdeckungen und Erstveröffentlichungen bedeutender Namen: Aichinger und Camus, Joyce und Kafka, Fried und Bachmann, Mayröcker und Dor - um nur einige zu nennen. Wort und Wahrheit als Zeitschrift für Religion und Kultur setzte sich mit Trakl und Kafka auseinander, blieb ansonsten literarisch konservativ, während man mit Friedrich Heer als kritischem Autor durchaus mutiger war.

Eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Mitläufern des Nationalsozialismus begann, so dass die Kulturzeitschriften zugleich eine politische Aufgabe erfüllten. Interessant daher das Kapitel, das Pfeiffer der Sprache widmet, in der sich solche Auseinandersetzungen abbildeten. "Die deutsche Sprache zwischen Tradition, Naziprägung und Neugestaltung" bringt Beispiele eines durchaus "völkischen" Vokabulars, das zur Darstellung der neuen demokratischen Lebensformen verwendet wurde. Die Sprachwende hinkte der politischen Wende hinterher.

Ingrid Pfeiffers Buch hält der heutigen Literaturszene einen Spiegel vor. Literatur ist inzwischen in das Ghetto spezieller Zeitschriften abgewandert. Diese erfüllen kaum noch eine politische Aufgabe, Religion und Literatur gehen längst getrennte Wege. Damals war die gemeinsame Überzeugung, dass eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft anstand, eine Brücke über ideologische Differenzen: Redakteure eines Blattes scheuten sich nicht, auch in anderen zu schreiben. "Literatur stiftet geistigen Lebensraum" liest man 1948 in Wort und Wahrheit. Ingrid Pfeiffers Verdienst ist es, dies in Erinnerung zu bringen. In ihrem gründlich recherchierten und dokumentierten Buch zeigt sie, was in Österreich möglich war. Und sie entlässt den Leser mit der unausgesprochenen Frage, ob dazu unbedingt Krieg und Zusammenbruch nötig sind.

Scheideweg der Worte

Literatur in österreichischen Zeitschriften 1945-1948

Ingrid Pfeiffer, Edition Steinbauer Wien 2006. 216 Seiten, kart., € 25,-

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