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Neues und Altes in Ro-Ro-Ro

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Wie üblich, sind auch die letzten Ro-Ro-Ro-Taschenbücher eine Mischung aus altbewährten und imbekannten Titeln, reiner Unterhaltungslektüre und literarisch Anspruchsvollem. Zu ersterer gehören etwa die angelsächsischen Autorinnen Georgette Heyer („Der Page und die Herzogin“, 634—44, Preis 3.80 DM) oder Betty MacDonald („Die Insel und ich“, 641, Preis 2.20 DM) und auf einer gehobeneren Ebene der Anglo-Inder Aubrey Menen, dessen Erstling („Hexen überall“, 578) an die literarische Tradition der Evelyn Waugh und Cyril Connolly anschließt. Die „Carnets“ (598) von Saint-Exupery bringen ein willkommenes Wiedersehen, ebenso wie Jungks „Heller als tausend Sonnen“ (600—01) auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Reportage. Nabokovs „Lolita“ (635—36), Juan Goytisolos „Sommer in Torremolinos“ (568) oder Marie- Luise Katschnitz’ „Haus der Kindheit“ (469) wiederholen große oder kleine Erfolge der gebundenen Ausgaben. Einige Titel stechen heraus: etwa D. H. Lawrence mit zwei in Deutschland weitgehend unbekannten Romanen: „Das verlorene Mädchen“ (479—80) und „Der Regenbogen“ (610—11), die thematisch zwar das aus Lady Chatterley bekannte Interesse des Autors an dem in der englischen Klassenhierarchie angesiedelten Problem der freien Sexualität zeigen, aber in der gebändigten Form zweier Liebesgeschichten, die einmal vervielfacht durch drei Generationen einer englischen Familie verfolgt wird, das andere Mal als Beziehung eines ält-

liehen Fräuleins zu einem neapolitanischen Schausteller. Beide Romane runden das Bild eines meisterhaften Erzählers ab, der die englische Tradition des Gesell- schaftsromanes in neuer Weise und mit neuen Schwerpunkten weitergeführt hat.

Eine frühe Nummer jedoch ist es, die ein wahres Ereignis liefert: Miguel Angel Austurias mit seinem Roman „Der Herr Präsident" (475). Der lateinamerikanische Diplomat, inzwischen mehrfach übersetzt und in Deutschland zu Unrecht in die Taschenbuchreihe verbannt, erzählt in einer starken, bildhaften Sprache mit allem Mitleid seiner Empfindungen, aber ohne Sentimentalität, in der Wirkung fast schon brutal, von der Geschichte eines Günstlings des Diktators einer mittelamerikanischen Republik, der für seinen Herrn eine unangenehme Aufgabe erledigt, sich fast gegen seinen Willen in die Tochter des Feindes des Präsidenten verliebt und schließlich in derselben Art, hinterlistig und erbarmungslos, wie er selbst politische Opfer zu beseitigen geholfen hat, vom Präsidenten in den Tod im Kerker geschickt wird. Der Roman entwirft ein apokalyptisches Bild einer Gesellschaft, die in Angst lebt, deren Werte auf Schmeichelei, Denunziation und Bestechung beruhen. Miguel Angel Asturias hat Guatemala in einigen Ländern, darunter auch in Frankreich, vertreten und ist 1955 als Protest gegen die Diktatur von Castillo Armas zurückgetreten.

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