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Digital In Arbeit

Outing Ergebung und Vergessen

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Aufregung in der Osterwoche über eine Radiosendung in 03: Moderatorin Nora Frey holte sich in ihre Sendung „Freizeichen” jene Frau, die jahrelang von ihrem eigenen Vater mißbraucht und dabei viermal geschwängert worden war. Nachmittagsgeplauder über sexuelle Ausbeutung - wenn das die Einschaltquoten nicht nach oben schnellen läßt!

Das Opfer wirkte in der Sendung (akustisch) entnervt und gequält. Das war schon schlimm. Aber eines ist klar: Wer Privates öffentlich macht, liefert sich aus. Er wird nackt und ungeschützt dem Medienpublikum präsentiert. Daß die Mutter aber auch eines ihrer Kinder ausgeliefert hat, schockierte noch mehr. Im coolen Verhör durch 03-Star Frey „Weißt du eigentlich, daß dein Opa dein Papa ist?” und weiter „Hat dir das die Mama nicht gesagt?” verschlug es der kleinen Tochter des Opfers die Sprache. Tränen flössen, und seither hagelt es Proteste über diesen „Sozialporno”. „Quoten-Nutte” schimpfte der „Kurier” die Hörfunk-Dame.

Wozu die Aufregung über diesen Fall von Voyeurismus? Auch in Österreich hat man längst kapiert, wie das Mediengeschäft läuft. Am besten durch hemmungslose Entabuisierung eines jeden Themas. Im Rereich Fernsehen machen das die deutschen Privatsender schon lange vor. Immer dichter werden Fernsehkameras unter Verletzung jeglicher Intimität auf Sterbende, Schreiende, Verzweifelte gehalten. (Wer regte sich denn auf, als am Karsamstag in „Zeit im Bild” zu sehen war, wie ein französischer UNO-Soldat in Bosnien erschossen wurde?)

Die Schlacht um Einschaltziffern hat das Fernsehen verändert. Schonunglose Berichterstattung ist in. Aber es geht längst nicht mehr nur um Sensationelles, Spektakuläres, Schockierendes. Die zweite Schiene der medialen Quotenjagd ist die scheinbare Befriedigung des Bedürfnisses nach menschlicher Nähe. Daher wird andererseits auch das Private und Intimste ganz bewußt unter reger Anteilnahme öffentlich gemacht. Trauer, Tränen, Freude, Wut. Nichts Menschliches bleibt mehr verborgen. Von „Traum hochzeiten” über „Verzeih mir!”-Bitteri bis hin zu Kindesmißhandlung und Vergewaltigung.

Hat nicht auch der 65jährige Pfarrer von Elixhausen bei Salzburg in Radio und Fernsehen doch noch einbekannt, vor 30 Jahren einen Internatszögling sexuell mißbraucht zu haben? Sein Ou-ting gilt als „heldenhaft”, man verzieh ihm großmütig.

Was hart kritisiert werden müßte, wird vor der Kamera zum mutigen Schritt. Wer in Radio und Fernsehen nichts mehr verbirgt, hat auch nichts mehr zu befürchten. Für Aufdeckung, Outing, Vergebung und Vergessen in einem sorgen die neuen Medienpriester: quotengeile Showmaster und sensationslüsterne Moderatoren.

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