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Digital In Arbeit

Thema: 20. Juli 1944

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Nun ist der „Aufstand der Offiziere“ Erwin Piscators letzte Arbeit geworden. Unerwartet verstarb er als Zweiundsiebzigjähriger, wenige Tage nach der Premiere, an den Folgen einer plötzlich notwendig gewordenen Operation. Sicherlich war der „Aufstand der Offiziere“ nicht die beste Inszenierung Piscators. Die Presse hat Autor und Regisseur sehr hart kritisiert. Aber es war ein bezeichnender Abgang: Wenn Pisca- tor auch oft einem schwachen Text seine Arbeitsintensität widmete — niemals einem unbedeutenden Thema.

Vom Thema her bekommt auch seine letzte Inszenierung ihre Würde. Sicherlich war der Text, den Hanns Hellmut Kirst zu den Ereignissen des 20. Juli schrieb, sich dabei eng an die Geschichte des Attentates gegen Hitler haltend, kein Meisterwerk. Aber der Autor war ehrlich genug, seine begrenzten Fähigkeiten als Dramatiker einzusehen: Er versuchte nichts Unmögliches und verfaßte nichts anderes als eine bieder-getreue Nacherzählung der Ereignisse, die dramatische Spannung nicht aus der Gestaltung, sondern allein aus dem Geschehen ziehend.

Mit diesem bescheidenen Ziel aber erreicht Kirst sehr sicher zwei Dinge. Beide scheinen mir bemerkenswert. Erstens kommt kein Zweifel daran auf, daß die Männer des 20. Juli recht hatten, daß ihr Attentat mehr als gerechtfertigt war. Zum zweiten aber werden sie nicht als festspielwürdige Nationalheroen dargestellt: Sie werden gesehen durchaus in ihrer Unfähigkeit, ihrem Zögern, ihrer Beschränkung, die vor allem aus ihrem Beruf her- auskommt: dem militärischen. Diese Beschränkung steigert sich fast bis zur Groteske, wenn sie (höchst ehrenwert) über die moralische Zulässigkeit ihres Vorhabens diskutieren: wenn sie gefangen sind in ihrem Eid, den sie dem „Führer“ geschworen. Hier verkehren sich die Tugenden des Preußentums in der Berührung mit einer tückisch gewordenen Welt. Und ähnlich grotesk wird es, wenn diese ehrenwerten Männer, die Helden des anderen Deutschland, an dem Kanon ihrer Verhaltensweisen, den Ehrenbezeigungen, den festen hierarchischen Ordnungen, dem Ritual ihres Berufes festhalten noch auf dem Weg zum Standgericht.

In diesen Szenen gelingt ein Paradoxon: ein antimilitaristisches Stück, dessen positive Helden Soldaten sind. In diesen Szenen erreicht auch Piscators Inszenierung Profil, überspielte Krankheiten, Umbesetzungen und Schwäche des Textes. Bedrückend getroffen war auch die unheimliche Rolle der Technik: Man spielte das Stück unter der metallenen Kuppe einer Erdhalbkugel, in einem Drahtgestänge vor und unter Filmleinwänden, eingehüllt vom Schrillen der Telefone und Fernschreiber. Das war nicht Rückfall in eine Bühnenform aus Piscators Frühzeit, sondern adäquate Darstellung des versuchten Auf Standes: Revolutionäre, die im Getriebe einer totalen Diktatur selbst nichts mehr tun können; nur noch mit Drähten und anonymen Befehlen auf die Außenwelt einzuwirken versuchen. Und es zeigt sich im Nachhinein nun auch als ein Symbol für Erwin Piscators Wollen: Nicht um die Seele des einzelnen ging es in seinem Theater, nicht um persönliches Schicksal. Er wollte mitarbeiten gegen die globalen politischen Gefährdungen unserer Erde und unserer Zeit.

Deshalb brachte er auch einen schwachen Text; deshalb begnügte er sich mit einem Stück, das nichts Neues bringt, keine originelle Sicht, keine Enthüllungen; der Volksbühnenintendant Piscator spielte für seine Volksbühne und ihre durchschnittlichen Besucher: ihnen erzählte er von der Welt, wie sie wurde und wie sie heute ist.

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