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„Von Verwandlung durdiglühte Zeit”

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AUFSCHREIBUNG AUS TRIENT. Roman. Von Franz Turnier. Suhrkamp-Verlar, Frankfurt/Main, 1865. 340 Seiten, Leinen, Preis DM 18.—.

Turniers neuer Roman ist, wie seine erste unvergessene Erzählung „Das Tal von Lausa und Duron”, in Südtirol angesiedelt. Aber welche Erweiterung der Perspektiven und des Spielfelds in der „Aufschreibung aus Trient”. Wenn die Faszination des Frühwerks von der makellosen Verschmelzung von Poesie und Wirklichkeit ausging, liegt die Stärke des neuen Buches in der engen Verflechtung persönlicher und allgemeiner Ereignisse. Die Selbstfindung und Befreiung eines Mannes läuft parallel mit der Erkundung der Vergangenheit des Landes Südtirol und seiner Menschen, von der aus die Gegenwartsprobleme in neuem Licht erscheinen.

Die äußere Handlung ist schnell erzählt. Ein Mann, in Südtirol geboren, fährt mit einem Mädchen nach Oberitalien, kommt auf der Reise auch durch das Dorf, in dem sein Vater geboren wurde und immer noch Verwandte wohnen. Aber er nimmt nicht Aufenthalt dort, um Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen, ungelösten vergangenen und gegenwärtigen Problemen. Dann wird er durch einen Autounfall kurz vor Trient „gestoppt”, „eingeholt”, wie es mehrmals heißt, gezwungen zu einer notwendigen Besinnung, die gleichzeitig dem Augenblick — der eigenen Existenz und der des Mädchens — und der Vergangenheit gilt. In die Auseinandersetzung, die nun beginnt, wird, als imaginärer Partner, der italienische Freiheitskämpfer Cesare Battisti eingeschaltet, den die Österreicher 1916 als „Landesverräter” hängten und dessen Denkmal gegenüber dem kleinen Hotel steht, in dem die beiden Reisenden die Reparatur ihres Autos ab warten. Dieser Battisti entdeckt, früher als das Paar selbst, die Unzulänglichkeit ihrer Beziehung zueinander und verfolgt mit ängstlicher Anteilnahme den „Prozeß”, der zwischen den beiden ins Rollen kommt. „Ob er zu Leben kommt mit dieser, und wie es weitergeht mit ihnen …”

Es geht gut mit diesen beiden. Das Mädchen befreit den Mann aus seiner verschlossenen Starrheit, und er lernt, in ihr das ihm zugehörige Gegenüber zu sehen, die, die sie wirklich ist, statt, wie früher, „das von ihm ausgedachte Wesen”. So kann sich zwischen ihnen jenes Geheimnis begeben, „daß wir uns jetzt machen und erkennen und zu dem machen, was wir sind und solange nicht gewußt haben …”

Neben dieser Entwicklung läuft, wieder von dem Mädchen in Gang gebracht, die notwendige Auseinandersetzung des Mannes mit der Vergangenheit, die Konfrontation mit seinem Vater, in die sich Battisti, dessen früherer Freund, klärend einschaltet. Die Rückschau in die Welt des Vaters, in die politischen, völkischen und staatlichen Probleme seiner Generation im Land Südtirol, zeigt auch die verworrene und vielschichtige Augenblickssituation in neuem Licht. Ein Vetter des Mannes ist Bürgermeister in der alten Heimat der Familie, zur Zusammenarbeit mit den Italienern bereit und von diesen respektiert; ein anderer gehört zu den im Mailänder Prozeß Angeklagten. Während des Aufent halts in Trient läuft gerade der Karabinieri-Prozeß über die Bühne. Diese Tagesereignisse beginnt der Mann nicht nur vom Gegenwartsaspekt her zu begreifen; er stellt sich den Ursachen, die zu der heutigen Lage führten. „Die Dinge von früher gehören dazu.” Wieder sind es die Meditationen des Battisti, die weiterhelfen und den Weg der Versöhnung der Gegensätze aufzeigen in der Toleranz gegenüber der „anderen Seite”, damit „Zusammenleben” zwischen den deutschen, italienischen und ladinischen Volksgruppen möglich werde, die alle in Südtirol zu Hause sind.

Die tieferen Ursachen der Spannungen und Differenzen, ihre Grundlegung lange vor dem neuen Zusammenprall der Gegensätze in unserer Zeit sind Turnier wichtig. Der Ich-Erzähler seines Romans

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