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Die Lust am Alter

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Eine kluge Freundin belehrte mich neulich recht energisch, als ich über ein post-grippa-les Wehwehchen klagte: „Wenn du nach 60 aufwachst und es tut dir nichts weh, bist du tot!"

Was heißt es, älter und schließlich alt zu werden? In unserer modernen Industriegesellschaft, in welcher Effizienz, Produktivität, Zielgerichtetheit und Mithaltenkönnen mit immer rascheren Veränderungen gefordert sind. Die vom Geist eines „Fortschritts" beherrscht wird, von einer technologisch immer höher getriebenen Geschwindigkeit, von welcher der französische Philosoph und Humanist Paul Virilio meint, daß sie entmenschlicht.

Wo ist der Platz der Alten im Internet? Im Tummelfeld technologischer Entwicklung? Im Cyberspace, der virtual reality? Das Leiden des Menschen ist nie virtuell, sondern höchst persönlich und gebunden an Zeit und Baum.

Und: Was für Gefühle rufen in uns Zerbrechlichkeit, Unbeholfenheit, Hilflosigkeit hervor? Als Appell an Geduld und Mitgefühl, der so offensichtlich mit unserem gesellschaftlichen Ideal der persönlichen Autonomie und freien Lebensgestaltung kollidiert. Autonomie bedeutet auch Abgrenzung, Abstand, nicht Nähe. Ihr Gegenteil ist der Verzicht auf Eigenleben, bis zum Verlust des Ichs. Er ist genauso fragwürdig wie der um sich greifende Egoismus. Es gilt - wie so oft - das richtige Maß zu finden.

Doch wenn ich mich frage, was die Chancen und Freiheiten des Alterns sind, so fällt mir eine Menge ein: Ein Stückchen Bespektlo-sigkeit für das und für die, die sich selbst für so wichtig halten; frei von Leistungszwängen, ohne Bücksicht auf Karriere alte Vorsicht und Ängste über Bord zu werfen und sich zu engagieren für das, was einem sinnvoll erscheint. Das Wissen um die Altersgrenze des Lebens befreit von lebenslangen Zwängen. Wenn es stimmt, was Demoskopen voraussagen, daß nach dem Jahr 2000 sich die Zahl der über 60jährigen verdoppelt, dann könnten sie der engen Zweckrationalität rebellisch die Macht der wahren Vernunft entgegensetzen.

Die Autorin ist

freie Journalistin in Wien.

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