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Digital In Arbeit

Anatomie eines Krankenstandes

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Montag. N. verspürt leichte Rückenschmerzen sowie ein vielsagendes Jucken im hinteren Rachenraum Richtung Nase, das er kratzen möchte, aber nicht kann. Natürlich geht er ins Büro, wo er zahlreichen Widerwärtigkeiten ausgesetzt ist. Es sind mehr als sonst, und das heißt was.

Dienstag. N.s Kreuzschmerzen haben sich verstärkt. Das Rachenjucken ist einer eindeutigen Verkühlung mit Niesen und rechtsseitiger Nasenlochverstopfung gewichen. Halsweh in der Früh bekämpft N. mit außergewöhnlich heißem Kaffee und der Einnahme eines chinin- wie auch Vitamin-C-haltigen Präparates. Mit Kopfschmerzen betritt N. sein Büro. Als diverse ekelhafte Telefonate, achtundzwanzig Tippfehler seiner Sekretärin, zwei zu spät kommende, aber umso lästigere

Besucher und ein mit einem lächerlichen Griff zu einer Büroklammer entstandener Muskelschmerz in der linken Nackenpartie vor seinem geistigen Auge das Bild seines heimatlichen Bettes entstehen lassen, wehrt sich N. erfolgreich gegen diese Halluzination. Gezwungenermaßen macht er sogar eindreiviertel Uberstunden.

Mittwoch. Nach einer von Niesanfällen und Ohrenstechen gekennzeichneten und durchwachten Nacht zeigt das nach fünf Minuten Achselaufenthalt betrachtete Thermometer auf 38,3 Grad. Dennoch strebt N. seinem Arbeitsplatz zu. Er kämpft gegen ein Schwindelgefühl als auch gegen mitleidig wirken sollende Bemerkungen einiger Kollegen. Seine Toleranzgrenze gegenüber rauchenden Mitmenschen sinkt Wahrnehmbar. Komischerweise tun auch der Knöchel des rechten Zeigefingers und das linke Kniegelenk weh, was N. in keinen Zusammenhang weder untereinander noch mit seiner Erkältung bringen kann, dem miserablen Zustand aber die Krone aufsetzt. Einmal will N. völlig grundlos einen Anrufer am Telefon anbrüllen, kann es aber gottlob nicht, weil er mittlerweile auch heiser geworden ist.

Donnerstag. Einige Mitarbeiter begehren allen Ernstes gegen sein Erscheinen im Büro auf, da sie sich einer Ansteckungsgefahr ausgesetzt sehen. Tatsächlich rinnen N. die Augen wie auch die Nase permanent, der Verbrauch an Papiertaschentüchern nimmt kolossale Dimensionen an. N. mehrt wider besseres Wissen, aber als sinnlosen Besserungsversuch, seine ohnehin enorme Müdigkeit durch die mittägige Einnahme eines Viertelliters Glühwein. Drei eigene Fehlleistungen halten ihn vor einer bereits formulierten Grobheit zu seiner Mitarbeiterin zurück, die einen Brief an den Alfons Meier mit der Anrede ^.Sehr geehrte gnädige Frau“ übertitelt hat. Ein starkes Verantwortungsbewußtsein hindert N., vorzeitig nach Hause zu gehen.

Freitag. Der Höhepunkt der Krankheit ist überschritten. N. entdeckt, daß er gegenüber gestern besser hört, hatte aber die Schwerhörigkeit am Vortag nicht registriert. Die Nase atmet zwar noch blockierend, aber bedeutend leichter als an den letzten Tagen. Trotzdem geht N. ein abnormal großer Posteingang über die Maßen schwer auf die Nerven. Er absolviert den Bürotag mühsam.

Samstag. Den außergewöhnlichen Termin am Vormittag läßt N. trotz leichten Mißbehagens nicht platzen. Um eins verspürt er, ganz im Gegensatz zu den vergangenen Tagen, wieder Appetit. Abends fühlt N. sich tadellos und schläft dann bis Sonntag, neun Uhr.

Sonntag. Einmal noch schneuzt sich N. und atmet dann lustvoll mit geschlossenem Mund durch. Mittags genießt er das erste kalte Bier seit einer Woche. Er hat nirgends Schmerzen.

Montag. N. wacht voller Wohlbefinden auf. Er fühlt sich kräftig und gesund, frühstückt und geht sodann am häuslichen Fernsprechgerät vorbei. Da ruft er im Büro an und meldet sich für diesen Tag krank. Er legt sich nieder und pflegt sich...

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