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Blick ins Parteimuseum

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Wolfgang Leonhard wurde mit seinem 1955 erschienenen Buch „Die Revolution entläßt ihre Kinder", in der gesamten politisch interessierten westlichen Welt bekannt. Als Sohn des kommunistischen Schriftstellers Rudolf Leonhard 1921 geboren, emigrierte nach der Machtergreifung Hitlers 1933 die Mutter mit dem Kind nach Moskau.

Wolfgang Leonhard verbrachte also von dieser Zeit an bis 1945 seine Kindheit und Jugend im Staat Stalins, in Kinderheimen, Parteischulen, auf einer Hochschule für Fremdsprachen, im Studentenwohnheim, und kam dann mit der „Gruppe Ulbricht" in das eroberte Berlin. Als Dozent an der SED-Hochschule befallen ihn tiefe Zweifel, und er setzt sich 1949 erst zu Tito nach Belgrad, dann nach dem Westen ab. Einundzwanzig Jahre lang war er dann Professor für Zeitgeschichte an der Yale-Universi-ty in New Häven. Nun lebt er seit fünf Jahren wieder in der Nähe von Bonn.

Seine späteren Bücher, wie „Kreml ohne Stalin" oder „Sowjetideologie heute" (1962), auch „Chruschtschow", hatten weit weniger Resonanz als sein Bestseller über die Revolution, die ihre Kinder entläßt, denn er galt in der Phase der Entspannung und des großen Arrangements zwischen Breschnjew und dem Westen als hartnäckiger „kalter Krieger", der die Verbrechen Stalins und seiner Nachfolger im Westen nicht vergessen lassen wollte.

Wolfgang Leonhard hatte den Stalinismus deutlich wahrgenommen, seine Mutter verschwand, obwohl leidenschaftliche Kommunistin, für zwölf Jahre in einem GULAG, er erlebte, wie rund um ihn Unschuldige verhaftet, verschleppt, ermordet wurden, und als Schüler kommunistischer Eliteschulen lernte er die ideologischen Mechanismen, die ungemein raffinierten und erfolgreichen Techniken der politischen Aggression, der Subversion gegenüber dem Ausland, die Sophistik der marxistischen Argumentation von innen her kennen.

Daß Wolfgang Leonhard die gefährliche Logik des Systems nicht früher durchschaute (1949 war er immerhin 28 Jahre alt) kann nach so vielen Beispielen nach ihm, bei denen die Erkenntnis noch viel später eintrat, kaum verwundern.

Nach dem Zusammenbruch des Regimes unter Gorbatschow und Jelzin kommt nun Wolfgang Leonhard wieder in den Vordergrund, denn nicht nur seine früheren Bücher zeigen die Wurzeln, die Hintergründe dieses Regimes und damit die tiefe Begründung der heutigen Krisen dort. Vor kurzem ließ Wolfgang Leonhard diese für die Gegenwart so ausschlaggebende Vergangenheit in einem neuen Buch „Spurensuche" (Kiepenheuer . und Witsch) mit aufregender Anschaulichkeit wiedererstehen.

Er besucht die früheren Schauplätze seines Lebens in Moskau und viele noch lebende Freunde im ehemaligen Ost-Berlin, darunter Markus Wolf und Peter Florin. Die Vergleiche von damals und heute, die Gespräche, die psychologischen Analysen dieser Verwandlungen und auch erschreckenden Konstanten geben einen tiefen Einblick in die heutige Realität dieser Länder und ihrer Menschen. Wer sich für diese Realitäten interessiert (und wer könnte das nicht tun?) sollte dieses Buch mindestens einmal - vielleicht sogar zweimal -lesen.

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