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Das Publikum floh

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Als der Mohr Othello wie ein Panther sein Opfer Desdemona zu umkreisen begann, um ein quasi rituell inspiriertes Todesspiel an ihr zu vollziehen, probten die Basier den Aufstand: unter lauten Protestrufen, von denen jene, die sich auf die irrige Verwendung ihrer Steuerfränkli bezogen, noch die harmlosesten waren, verließ gut die Hälfte des Pre-mierenpuMikums das Theater. Am nächsten Morgen konnten es dann alle an der winkligen Fassade des neuen Basler Superbaues lesen: mit „Hollmann raus“ und „Othello pfui“ hatte Basel nach einer vergangenen, eher langweiligen Spielzeit wieder echtes Holtaian-Theater mit allem Für und Wider.

Das brutale Ende kam keineswegs überraschend, und es wurde bis dicht an die Schmerzgrenze geführt. Als die Besucher flohen, hatten sie bereits knapp vier Stunden lang Gelegenheit gelhabt, einer bemerkenswert konsequenten und überzeugenden Inszenierung beizuwohnen, deren harter Schluß nur folgerichtig erschien. Mit Christoph Quest stand Hans Hollmann zudem eine Titelflgur zur Verfügung, die bis ins kleinste Detail seiner Auffassung vom Neger Othello entsprach — einer hochzivilisieren und herzensgebildeten, in ihrer Naivität gläubigen, aber im Augen-blck der Herausforderung und bitteren Kränkung unbewußt dem ererbten Stolz des „Wilden“ anheimfallenden, unglücklichen Kreatur. Denn auch diese Problematik ist bei Shakespeare da, und es wäre ein Irrtum, zu glauben, hier handele es sich um nichts weiter als ein banales Liebes- und Eifersuchtsdrama.

Im Gegensatz zu „Titus, Titus“ in der Spielzeit 1969/70 ist diese Othello-Version auch keine sogenannte Hollmann-Adaptation. Vielmehr griff man in Basel äußerst sorgfältig auf die im 18. Jahrhundert entstandene Eschberg-Ubersetzung zurück und modernisierte lediglich einige Ausdrucksweisen. Gespielt wird auf nahezu nackter Bühne (Andreas Reinhardt). Effektvoll wirkt sich die zur Gänze ausgeschöpfte volle Tiefe aus, die im hintersten Hintergrund vor einem Transparent den Markusplatz mit Kirche in Miniaturformat zeigt. Den seitlichen Abschluß bilden schwarze, drapierte Vorhänge. In der Mitte der Bühne eine karge Liege und im Vordergrund ein quadratisches Podest, auf dem hautnah nicht nur die wichtigsten Passagen ablaufen, sondern wo auch Jago (ausgezeichnet Jochen Tovote), gewissermaßen in Zweitfunktion, als Spielmeister und mit persönlicher Ansprache ans Publikum die Tragödie vorantreibt. Uberhaupt mißt HoM-mann dem Jago durch zusätzliche mephistophelische Züge und außerhalb seiner Rolle gesprochene Kommentare eine tragende Rolle zu. Verständlich, daß dabei alle Nebenpersonen, obwohl ausgezeichnet besetzt und geführt, eigentlich kaum ins Gewicht fallen. Wichtig ist Zypern — wichtig der Augenblick.

Eine überaus präzise Sprache, ausgefeilte psychologische Personenbetonung und hervorragende schauspielerische Arbeit geben diesem „Othello“ stark durchgeistigte Aspekte. Keinen Augenblick ist die Inszenierung langweilig. Die Anforderung an den Zuschauer ist eben so groß, daß der schließlich eintretende Exodus eines Teiles des Publikums fast folgerichtig erscheint. Wer die Nerven hatte, bis zum Schluß auszuharren, wurde Zeuge eines großen Theaterabends, freilich eines, der auch an dem Zustimmenden nicht aalglatt ablaufen wird.

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