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Probe für den Aufstieg

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Hans Hollmann hat es erreicht. Was seinen Vorgängern Werner Düg-gelin und Arno Wüstenhöfer nicht gelingen wollte — er konnte es jetzt mit großem Spektakel über die zwei Bühnen des 50-Millionen-Superbau-es im Herzen der Basler Innenstadt bringen: die festliche Eröffnung des neuen Stadttheaters. Unter dem Motto „So wurde noch nie ein Theater eröffnet“ scheute Hollmann keine Mühe, dieses Haus den Baslern ganz persönlich zu übergeben. Mit einem dreitägigen Theatermarkt, der von zehn Uhr morgens bis tief in die Nacht stündlich mit neuem Pro? gramm aufwartete, der 27raal für jede der jeweiligen Besuchergruppen eine eigene Eröffnungsansprache wechselnder Persönlichkeiten aus der Regio Basiliensis brachte, mit 38 verschiedenen Produktionen, mit Kindertheater, Jazzkonzert und ohne Gala und teure Eintrittskarten. Für fünf Franken gab's den Theaterschlüssel mit jeweiliger Zeitangabe, und man ging in „seine“ Eröffnungsvorstellung. Dabei stand Überraschung an erster Stelle. Erst an den jeweiligen Spielorten erfuhr man mittels Plakat, wer und was auf dem Programm stand. Eine Theaterfahrt ins Blaue, gewissermaßen.

Marschmusik und Wiener Walzerseligkeit empfingen den Besucher bereits im Foyer, dessen weites Rund noch den leisen Hauch von Karl Kraus' „Letzten Tagen der Menschheit“ spüren ließ, jener inzwischen weltberühmt gewordenen Hollmann-Inszenierung, mit der bereits am Ende der vergangenen Spielzeit der von einer imposanten Freitreppe beherrschte Raum eindrucksvoll vorgestellt wurde. Hier war auch der erste Spielort, ideal für den kleinen Sketch, den Einakter oder die Kurzoper. Hier kamen moderne Autoren und Komponisten zu Wort, wie Wolfgang Bauer und Lotte Ingrisch, Britten und Hindemith. Hier wurde auch eine tatsächlich noch ausgegrabene Uraufführung von Bert Brecht vorgestellt, wurden Szenen von Karl Valentin gespielt, sang Elfriede Ott Chansons, konnte man amüsanten Lesungen von Hans Weigel und Boy Gobert folgen, oder Gesängen mit Helmut Lohner lauschen.

Von Stewards und Stewardessen in leuchtend gelber Dreß geleitet, ging's ins eigentliche Theater, ins Große Haus. Ein Raum voll von Stimmung, tausend Personen fassend und dennoch intim, ohne Lüster und dennoch festlich, technisch funktionell gebaut und doch bequem. Hier drehte sich, neben kleineren Opernproduktionen so unterschiedlicher Art wie Brittens „Wir machen eine Oper“, Joseph Haydns „Apotheker“, Cimarosas „II Maestro di Capeila“ oder Strawin-skys „Geschichte vom Soldaten“, ein allabendliches Opernkarussell mit Orchesterkonzerten, Liedern und Ballett, das bis weit nach Mitternacht ein unermüdliches Publikum zu fesseln vermochte. Hier ging auch eine (der verschiedenen) Hollmann-Inszenierungen über die Bühne, die schweizerische Erstaufführung von Heiner Müllers „Herakles V.“.

Ein Wort noch zum „Kleinen Haus“, einer sachlich gestalteten Studiobühne mit aparten Chromsesseln und lederbespannten Sitzen. Bestechend auch hier die klaren Formen, die funktionsbewußte Linie, in diesem Haus soll in Zukunft das Problemhafte, das Unbequeme angesiedelt werden. Einen Vorgeschmack darauf gab's mit Becketts virtuos gebrachter Pantomime „Spiel ohne Worte“, ein Stück für einen Schauspieler und acht Techniker. Beeindruckende Szenen eines „Menschen“, der immer wieder in seiner Hoffnung auf Erlösung enttäuscht wird, dem selbst der frei gewählte Tod nicht gewährt wird. Die ideale Umgebung, um manchen Theatergast zum Nachdenken zu bewegen.

Vieles wäre noch zu nennen, muß aber hier unerwähnt bleiben. Ein Trost bleibt jedoch für die vielen, die trotz des Mammutprogramms leer ausgingen. Einige der Produktionen werden nun doch — wider Erwarten — ins Abendprogramm übernommen. Alles in allem: so wurde tatsächlich noch nie ein Theater eröffnet. Man darf im weiteren gespannt auf Hans Hollmann sein.

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Horts Hollmann blieb sich selbst treu: griff er auch für seine erste Schauspielinszenierung als Intendant in Basel nach Nestroy — und dazu noch nach dessen bekanntestem — wenn auch nicht bestem — Werk, dem „Lumpazivagabundus“, war doch nicht zu erwarten, hier nur das reine, goldene Wiener Herz vorgesetzt zu bekommen. Daß der Lumpaci ein Volksstück ist (und eine Zauberposse dazu), versuchte man in Basel erst gar nicht an die große Glocke zu hängen — was sich in dieser Umgebung auch gar nicht hätte realisieren lassen. Da war kein Juxplatz auf Erden und kein romantisch-kitschiges Feenreich, vielmehr eine harte und kalte Karikatur fadenscheiniger Gemütlichkeit und trauten familiären Glücks.

Skurrile Wirtshausszenen standen heben der klaren, staubfreien Idylle im Hause des Meisters Hobelmann, und wer's dann noch nicht merkte, dem fielen beim Schluß die Schuppen gleich doppelt von den Augen, so daß es (völlig zu Unrecht) Pfiffe und vereinzelte Buh-Ruf e gab. Dabei war gerade der letzte Akt, mit seinem aus dem Bühnenhintergrund hervorrollenden Puppenhäuschen und den emsig werkenden, von Frau und Wickelkind umringten, fein säuberlich gekleideten Landstreichern der Höhepunkt einer konsequent und virtous durchgehaltenen Regieauffassung, wie sie Hollmann in Basel bereits so erfolgreich mit Schnitzler und Horväth praktiziert hat. Da treffen sie sich wieder, der Hollmann und der Nestroy, in der betrüblichen Feststellung des Zwirn „Da tuns nix als arbeiten, essen, trinken und schlafen — is das eine Ordnung?“ Und Meister Knieriem trinkt einen ordentlichen Schoppen Milch dazu.

Wolfgang Mai hatte hierzu mit kleinen Wohnwänden eine Bühne gebaut, die dieses Milieau dezent unterstrich und die sich nur in den Feenreichszenen mittels reichhaltiger Drapierungen und himmlischer Projektionen zu ihrer ganzen Breite ausdehnen durfte — was recht effektvoll die unterschiedlichen Welten dokumentierte. Positiv erwies sich einmal mehr die Tatsache, daß die Basler Bühnen über eine ganze Reihe vorzüglicher Darsteller verfügen, denen zudem der österreichische Dialekt gewissermaßen in die Wiege gelegt wurde. Vor allem Hubert Kron-lachner konnte in der dankbaren Rolle des Knieriem mit manchem Paradestück aufwarten und schöpfte genußreich alle sich bietenden Möglichkeiten aus. Als er gar noch mit einigen Couplets und Extempore ä la Nestroy an die Rampe trat und über die Basler Altstadt klagte, die ..auf kein' Fall mehr lang steht“, war auch der Bezug zum Heute durchaus im Nestroyschen Sinne hergestellt. Nicht weniger eindrucksvoll profilierte sich Helmut Berger als geschniegelter Zwirn, während der (spätere) Musterknabe Leim (Helmut Förnbacher) sich zu seinem norddeutschen Timbre bewußt kleinbürgerlich gab und damit bereits den Aspekt auf den Haustyrannen in spe klar nach Hollmann vorwegnahm.

Aus der langen Liste der Darsteller seien noch erwähnt Eva Kerbler, Maja Stolle und Eva Maria Duhan als Töchter und Mama Palpiti in der. wiederum typisch Hollmann, herrlich ausgespielten Opernparodie (Musik: Gustav ZeliborlKurt Nachmann). Dazu hatte Hollmann einen kleinen Schanigarten zwischen den ersten Stuhlreihen des Parketts postiert, wo nach Schrammel-Art musiziert wurde. Dem Stellaris gab Michael Rittermann deutlich sichtbare k. u. k. Nonchalance. — Alles in allem kein wienerischer, aber ein durchaus diskutabler Nestroy.

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