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Hollmann-Halbzeit in Basel

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Halbzeit für Hans Hollmann in Basel. Nach eineinhalb Jahren Intendanz müssen sich sowohl der Verwaltungsrat des Stadttheaters wie Hollmann selbst demnächst entscheiden, wie es nach Auslaufen des Dreijahresvertrages mit Ende der Spielzeit 1977/78 weite rgehen soll.

Wir erinnern uns: Auf dem Höhepunkt des Intendantenkrachs (wegen der stark gestrichenen Subventionen) um die Leitung des neuen Basler Supę r-Stadttheaters ging das größte Projekt der Düggelin-Ara in Szene - die sich auf zwei Abende erstreckende Hollmann-Inszenierung von Karl Kraus’ „Die letzten Tage der Menschheit”. Auf Grund des weiten Echos dieser, wahrlich eines „Marstheaters”, wie es Kraus vorschwebte, würdigen Aufführung griff man in Basel für den inzwischen total verwaisten Sessel des Intendanten schnell auf den Erfolgsregisseur zurück, der sich zudem bereit erklärte, trotz der noch weiter gekürzten Subventionen im neuen, wesentlich kostenträchtigeren Haus gutes Theater machen zu wollen.

Nach einer verhältnismäßig konventionellen Spielzeit, die freilich durch verschiedene Handikaps, wie kurze Vorbereitungszeit und Auseinanderlaufen eines unter Düggelin fest zusammengewachsenen, hervorragenden Ensembles, arg erschwert wurde, lief Hollmanns zweites Intendantenjahr gleich mit einem Knalleffekt an. Sein konsequent durchdachter shakespearescher „Othello”, der als Gegenstück zur Zadek-Inszenierung gedacht war, rief bei den biederen Baslern soviel emotionale Ablehnung hervor, daß Parolen, wie „Hollmann raus” und Schlimmeres an allen Wänden des riesigen Theaterbaues besichtigt werden konnten. Inzwischen hat sich der Exodus der Zuschauer gegeben - die immer hoch laufenden „Othello”-Vor- stellungen gehören zu jenen, die stets als erste ausverkauft sind. Die Basler wissen ihren Hollmann wieder zu schätzen.

Des Intendanten zweites großes Regieprojekt dieser Spielzeit, die Dramatisierung des Thomas-Mann-Romans ,.Buddenbrooks” nach einer Collage des Basler Autors Tadeus Pfeifer, des Intendanten Hollmann und seines Dramaturgen Klaus Völker, erfreut sich zwar großen Publikumszugangs, bleibt jedoch im Versuch einer Wiederauflage des unvergessenen Karl- Kraus-Spektakels der „Letzten Tage” stecken. Die ebenfalls im riesigen Foyer, diesmal jedoch als Arena-Theater mit den auf rotierenden Sesseln sitzenden Zuschauern in der Mitte des Geschehens angelegte Inszenierung leidet an den zu großen Entfernungen. Weder durch die Sprache noch durch dramaturgische Spannung vermag sie in weiten Passagen die konzentrierte Überzeugungskraft jenes persiflierten Weltkriegspanoramas zu erreichen. Die seinerzeit hervorragend verwirklichte k. u. k. Atmosphäre, der rasante Ablauf der ineinander übergreifenden Szenen bleiben hier beim Versuch, gleiche Regiekonzeptionen (diesmal für das norddeutsch-hanseatische Idiom) zu wiederholen, in der sterilen, protestantischen Landschaft der Lübecker Umwelt eher mühsam. Was dennoch bleibt, ist eine Reihe brillanter Einfälle, grelle und gutgelungene Einzelszenen und einige hervorragende Leistungen, wie die der Geschwister Tony und Christian Buddenbrook (Verena Buss und Jochen Tovote) oder die ausgezeichneten Randfiguren der Permaneder und Grünlich (Norbert Schwienteck und Armando Dotto). Hollmanns Idee hingegen, ein großes Panoptikum der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts auf die - nicht vorhandene - Bühne zu stellen, gelingt kaum.

Dennoch vermochte Basel im zweiten Hollmann-Jahr durchaus gute und interessante Inszenierungen zu zeigen, wobei man - strenggenommen - erst diese zweite Spielzeit als seine ureigene bezeichnen kann. Zu sehr stand der Intendant nach seiner relativ späten Berufung anfangs unter Zeitdruck. Die längere Vorbereitung zeigte sich auch bei Ballett und Musiktheater. So fand jetzt die erste Opem- inszenierung des Schauspielregisseurs Horst Zankl statt, und bedenkt man, daß dieser bereits für die „Zauberflöte” als Gastregisseur bei Liebermann in Paris vorgesehen ist, ist dies ein weiterer Baustein auf dem offenen Weg der Schauspielregie ins Opernhaus. Zankls Aufführung der „Ariadne auf Naxos” (Richard Strauss) zeigte denn auch eine Fülle neuer Ideen in ironisch-perfekter Distanz und brachte eine hervorragende „Zerbinetta” ins Gespräch (Melanie Holliday vom Stadttheater Klagen- furt!).

Auch das Schauspiel machte von sich reden, sowohl mit Nicolas Brie- gers hervorragender Wedekind-Ins- zenierung „Musik” als auch - im wohltuend vielseitigen Spielplan - mit der Schweizerischen Erstaufführung der frühen Szenen „Die Schlacht” und „Traktor” von Heiner Müller. Die ungewöhnlich schwere Kost vom ostdeutschen Autor schlug sich in der geringeren Besucherzahl nieder - auch dies ist Theater am Rande seiner Möglichkeiten -, dennoch erscheint es begrüßenswert, wenn Hollmann alle Möglichkeiten des neuen Hauses, auch die kleine Studiobühne mit ihrem Werkstattcharakter, voll ausschöpft.

Ohne die aktive Denkarbeit des Publikums ist dieser Prozeß freilich nicht vollziehbar, und die Basler sind heute (noch) nicht bereit dazu. Vorläufig stürmen sie immer noch das große Haus ihres repräsentativen Stadttheaters. Vielen scheinen Erfolg oder Mißerfolg des Spielplans dabei gleichgültig zu sein - fragt sich nur, ob diese Tatsache Hans Hollmann reizen kann, weiterhin in Basel zu bleiben, auch wenn sein Subventionsetat inzwischen ganz beträchtlich kletterte. Von 15,8 Millionen Schweizer Franken auf 18,4 Millionen in der zweiten Spielzeit. Also um wesentlich mehr als die Schweizer Inflationsrate.

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