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Eigensinnige Malteser

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Je kleiner der Staat, desto häufiger der Stoßseufzer seiner Bürger: „Man kennt uns im Ausland zu wenig." Auch Malta, der kleine Inselstaat am Rande Südeuropas, fühlt sich von den Europäern übersehen, mißverstanden, verkannt.

Von Churchill noch als „unversenkbarer Flugzeugträger" bezeichnet, wird die nunmehr seit 20 Jahren unabhängige Inselrepublik Malta heute von den einen höchstens als „Fußballzwerg", von den anderen als „Schwarzes

Schaf Europas" gesehen. Die Malteser selbst nennen ihren Archipel „eine Brücke zwischen Europa und Nordafrika".

Als Malta nach langwierigen Verhandlungen am 21. September 1964 endlich in die Unabhängigkeit entlassen wurde, sahen die Malteser dieses Ereignis mit gemischten Gefühlen. Einerseits waren sie über die britische Verzögerungstaktik verbittert, weil sie meinten, Malta habe eher ein Anrecht auf Selbstbestimmung gehabt als manches weniger demokratisch gefestigte, vormals von Großbritannien beherrschte Land in Asien und Afrika.

Andernteils war zu befürchten, daß der Abzug der Briten die Inseln in eine wirtschaftliche Notlage bringen würde. Denn Malta lebte von dem britischen Flottenstützpunkt; der karge, erodierte Inselboden vermag die 365.000 Bewohner der drei Eilande nicht zu ernähren.

Zwar hatte Borg Olivier, Maltas erster Regierungschef, mit London einen auf zehn Jahre bef risteten Pachtvertrag ausgehandelt, doch diese Verdienstquelle wurde bereits durch rigorose Sparmaßnahmen der Regierung Wilson erheblich reduziert. Es galt, eine wettbewerbsfähige Exportindustrie aufzubauen und den Tourismus mit allen Mitteln zu fördern.

Die Werfteinrichtungen von La Valetta und Victoria sollten der internationalen Schiffahrt nutzbar gemacht werden, unter Wahrung der maltesischen Neutralität. In diesen Fragen sah sich Malta ähnlichen Aufgaben gegenüber wie die einstige britische Seefestung Singapur. Hier wie dort wurden ausländische Firmen für Joint-Venture-Projekte gewonnen und Arbeitsplätze geschaffen. Fehlendes Rohmaterial wurde importiert und zu Textilien, Möbeln und Plastikwaren verarbeitet.

Für den Bau neuer Fabriken und Trockendocks wurden auf Malta auch Chinesen aus der Volksrepublik herangezogen. Bunkeranlagen wurden der sowjetischen Marine zur Verfügung gestellt. An dem Bau neuer Hotels beteiligten sich internationale Konzerne.

Auf Malta hatten sich bereits vor der Unabhängigkeit zwei große Parteien etabliert: die Partei der Nationalisten und die maltesische Labour-Party. Beide haben bis heute eine nahezu gleichstarke Anhängerschaft. Wahlkämpfe werden auf Malta ziemlich ruppig geführt und meist durch ein paar tausend Stimmen entschieden.

98 Prozent der Malteser sind Katholiken; auf den drei Inseln gibt es so viele Kirchen wie Tage im Jahr, mithin eine Kirche für eintausend Bewohner.

Früher pflegte sich der einflußreiche Erzbischof von Malta auf die Seite der konservativen Nationalistenpartei zu stellen und zu erklären, jede Stimme für die Sozialisten sei eine Todsünde. Andererseits machte Maltas populärer Labour-Führer Dominic Mintoff, Sohn eines englischen Schiffskochs, Absolvent der Universität Oxford und Architekt im Privatberuf, keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen die katholische Kirche.

Erst nach einem zeitweiligen Burgfrieden vermochte Mintoff 1971 die Parlamentswahlen zu gewinnen. Seither wird Malta von der Labour-Partei regiert, auch noch nach den Wahlen von 1981, die zwar der Nationalistischen Partei eine leichte Stimmenmehrheit brachte, aber aufgrund einer Änderung des Wahlgesetzes den politischen Gegner obsiegen ließen.

Mintoff fühlte sich trotzdem stark genug, gegen den Protest der Bischöfe und des Vatikans rund 80 Prozent der Kirchengüter auf Malta zu verstaatlichen und einen Kulturkampf heraufzubeschwören.

Seine autoritären Führüngsme-thoden, repressive Maßnahmen gegen unliebsame Medien und oppositionelle Politiker haben ihm Rügen im Europarat eingetragen. Seine Schaukelpolitik im Umgang mit westlichen und östlichen Staaten hat das Ausland verwirrt, aber unter vielen Maltesern Beifall gefunden, weil Malta letztlich davon profitierte. Nach jahrhundertelanger Fremdherrschaft kommt es den Maltesern nun darauf an, aus der strategischen Lage Nutzen zu schlagen.

Früher pflegten in jedem Jahr sechs- bis achttausend Malteser auszuwandern. Es gibt in aller Welt rund eine Million Malteser. Heute sind die Hoffnungen der Inselbewohner mehr auf Europa, auf eine Vollmitgliedschaft in der EG gerichtet.

Von dem ölreichen Nachbarn Libyen und den Umarmungsver-suchen seines sprunghaften Revolutionsführers Ghaddafi wurden die Malteser enttäuscht, auf Öl-funde vor ihrer eigenen Küste haben sie bisher vergebens gehofft. Aber allem Anschein nach sind sie gewillt, im politischen Spiel der Mittelmeerstaaten kräftig mitzu-mischen.

Europa bekam dies zu spüren, als Malta seine Unterschrift unter das mühsam erarbeitete Schlußdokument der Madrider Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa verweigerte und das Ganze wochenlang blok-kierte. Die Europäer werden mit dem Eigensinn der Malteser leben müssen.

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