6835671-1975_13_10.jpg
Digital In Arbeit

Alles über Malta

Werbung
Werbung
Werbung

Das gibt es: ein Buch, entstanden in diesen unseren Tagen, das sich weder mit bluttriefendem Horror befaßt noch mit der lupengenauen Beschreibung sexueller Vorgänge, ein Buch, das kein Abenteuerroman für Liegestuhllektüre ist und eigentlich überhaupt kein Roman, sondern ein Hohes Lied, gesungen auf mehreren historischen Ebenen, ein völlig unzeitgemäßes Buch also, dessen Schwung und Fluß so sehr aller vordergründigen Wichtigtuerei entgegenläuft, daß es moderner ist als manches verkrampfte Experiment, und das den Leser mit sich reißt bis zur letzten Zeile seiner immerhin 519 Seiten. So etwas gibt es.

Ein unscheinbarer, körperlich unansehnlicher Mann aus uraltem aristokratischem Stamm, der Kaplan und „Leutpriester“ Salvatore, rettet Malta. Malta, das im Zweiten Weltkrieg unter dem Bombenhagel deutscher Stukas zu verbluten und zu verhungern droht, das sich aufzugeben bereit wäre, risse nicht dieser kleine, traditionsgeprägte Priester mit seiner Selbstlosigkeit, seiner Hilfsbereitschaft und seinen höchst unkonventionellen Predigten die Bevölkerung aus ihrer Erschöpfung, erzählte er ihr nicht, was Malta ist und was es längst schon überstand, was die Vorväter längst schon gelitten und dennoch vermocht haben. Und auf diesem Wege erfährt es auch der Leser. Wer von uns hier im Norden hätte es, ehrlich gesagt, bereits gewußt?

Die Geschichte des Felsbrockens, der das östliche vom westlichen Mittelmeer trennt — eigentlich sind es ihrer drei, Gozo und Comino gehören dazu —, die Geschichte der maltesischen, gar nicht sehr lateinischen Mischrasse und ihrer Heimat, deren Funktion als Sperriegel die Punier sowohl wie die Römer, die Araber sowohl wie Karl V., Napoleon sowohl wie die Engländer erkannt haben, diese Geschichte übertrifft nahezu alles, was sich sonst noch am Rande unseres Kontinents, auf seinen äußersten Bastionen (portugiesischen, spanischen, französischen, englischen, skandinavischen) ereignet haben mag. Europa ist immer noch um einen kleinen, ungeheuren Rest mehr als sein West-, Mittel-, Süd- und Osteuropa.

Um einer Gestalt wie jener des Kaplans von Malta, des Dun Salv, gerecht zu werden, hatte sich der Autor, der beteuert, kein Katholik zu sein, mit katholischen Denkprozessen auseinanderzusetzen. Er tat es gewissenhaft. Das Ergebnis ist ein Kompendium katholischer Psychologie, wie es zutreffender kein gelernter (und daher oft „betriebsblinder“) Katholik hätte schreiben können. So sollten, jenseits aller Erbauungsliteratur, die Heiligenbiographien unserer Zeit aussehen. Bedarf es zusätzlich noch eines Wunders? Hier ist es: das Durchhalten der Malteser im Inferno, bis zum Kriegsende.

Die Übersetzung, uneinheitlich, teils über die zeitgemäß üblichen grammatikalischen Schwächen stolpernd, teils aber wieder von hoher sprachlicher Schönheit, ist nur Vehikel. Monsarrats Gestaltungskraft, die dahintersteht, ist das Wesentliche; und Monsarrats Mut, die Dinge beim Namen zu nennen; und sein Wissen. Er weiß viel über die Menschen, er weiß alles'über Malta. 1

DER KAPLAN VON MALTA. Roman von Nicholas Monsarrat. Paul-Zsolnay-Verlag, 1975, 519 Seiten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung