Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Ein konservativer Rebell
Im „aggiornamento" des Zweiten Vatikanums sah er weder eine „Anpassung" noch eine „Modernisierung", sondern im Grunde etwas sehr Altmodisches: Die Rückkehr zum mittelalterlichen Begriff der „Christenheit", erweitert durch die im Zeichen der heraufsteigenden Weltkultur nähergerückten Völker anderer Erdteile.
Carl Amery, von dem hier die Rede ist, schrieb das vor 25 Jahren. In diesen Tagen, am 9. April, feiert der „konservative Rebell" aus Bayern seinen 70. Geburtstag.
1963 erschien seine Streitschrift „Die Kapitulation oder Deutscher Katholizismus heute". Da wurde Amery als Linkskatholik eingestuft, aber als echtem Konservativen ist es ihm eigentlich immer nur um eines gegangen: um die Bewahrung der Schöpfung. Er hat die ökologische Perspektive m der Entwicklung unserer Welt als religiöse Herausforderung erkannt und sehr früh die Frage gestellt, was denn heute eigentlich Fortschritt sei.
In seinem 1967 edierten Werk „Natur als Politik - die ökologische Herausforderung des Menschen" hat Amery klar ausgesprochen, was hinter den sogenannten Sachzwängen steht: „Das Dogma der Heilserzwingung durch Brechung der natürlichen Grenzen".
Er hat eine neue Ehrfurcht und eine neue Demut eingefordert - f •■> eine neue Religiosität, in der die Frage nach der Bestimmung des Menschen wieder klarer gestellt wird: „Was für Menschen müssen wir werden, um vor der Herausforderung der Schöpfung bestehen zu können?"
Er hat sich unbeliebt gemacht bei den Mächtigen in Staat und Kirche, weil er offen sagte, daß es sogenannten Konservativen oft nur um Reichtum geht, weil er die Falken kritisierte, die nur den Rüstungsetat im Auge hatten und die Gewerkschafter, die höhere Produktivität für höhere Tarifabschlüsse als Wesen ihrer Politik sahen und sehen.
Er hat vor 25 Jahren den nüchternen Schluß gezogen, daß es in der Kirche innerhalb der nächsten zehn Jahre gelingen müsse, „das Bewußtsein der Gemeinden auf die Freiheit des Christenmeflschen hin zu orientieren'. Denn es müsse der Bewußtseinsabstand verringert werden zwischen einer progressiven Minderheit und „einer durch die Fehlleistungen von Jahrhunderten entstandenen Mehrheit". Sonst komme es für die Kirche zu einer Zerreißprobe.
In einem Interview in „Christ und Welt - Rheinischer Merkur" wurde Carl Amery dieser Tage mit seiner Bemerkung konfrontiert, er und Heinrich Boll seien unter „rufenden Glockentürmen aufgewachsen". Und da sagte Amery: „Ich höre sehr verschiedene Glocken heute läuten. Sehr gesprungene, sehr nebensächliche Tönchen. Also mit der Amtskirche kann ich eigentlich keine Gemeinsamkeit mehr sehen."
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!