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Gegen falsche Propheten

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„Es ist besser, Unrecht zu erleiden als Unrecht zu tun." Diese These von Sokrates, die der Philosoph Karl Popper an den Schluß des Vorwortes zu seinem neuen Werk „Auf der Suche nach einer besseren Welt" (Piper Verlag, Herbst 1984) stellt, ist überaus typisch für den Menschen Karl Popper, für seine Haltung zu den anderen, für seine Einstellung zur Umwelt.

In dem erst vor wenigen Wochen erschienenen Band „Auf der Suche nach einer besseren Welt" sind erstmals zentrale Aufsätze und Vorträge Poppers aus dreißig' Jahren gesammelt. Die Texte faszinieren durch ihre lebendige und klare Sprache. Sie konfrontieren den Leser mit Poppers großen Themen und mit der Vielfalt seines Denkens.

Zum eigentlichen Kern des Themas schreibt Karl Popper in seinem Vorwort: „Alles Lebendige sucht nach einer besseren Welt. Menschen, Tiere, Pflanzen, sogar Einzeller sind immer aktiv... Jeder Organismus ist dauernd beschäftigt, Probleme zu lösen. Und die Probleme entstehen aus Bewertungen seines Zustandes und seiner Umwelt, die er zu verbessern sucht."

Uber die Erkenntnis sagt Popper in einem ausführlichen Kapitel: „Erkenntnis heißt Wahrheitssuche - die Suche nach objektiv wahren, erklärenden Theorien. Sie ist nicht die Suche nach Gewißheit. Irren ist menschlich. Alle menschliche Erkenntnis ist fehlbar und daher ungewiß ... Den Fehler, den Irrtum zu bekämpfen, heißt also, nach objektiver Wahrheit zu suchen und alles zu tun, um Unwahrheiten zu entdecken und auszuschließen."

Die Tradition bezeichnet Popper als eine der wichtigsten Quellen unseres Wissens: „Die Tatsache, daß die meisten Quellen unseres Wissens auf Traditionen beruhen, zeigt, daß die Gegnerschaft gegen die Tradition, also der Anti-traditionalismus, ohne jede Bedeutung ist. Diese Tatsache darf aber nicht als Stütze für den Traditionalismus angesehen werden, denn kein noch so kleiner Teil un-

seres überlieferten Wissens ist davor gefeit, kritisch untersucht und gegebenenfalls umgestoßen zu werden. Trotzdem wäre ohne Tradition Erkenntnis unmöglich."

Die Naturwissenschaft bezeichnet Karl Popper als „unsere größte Hoffnung", denn: „Ihre Methode ist die Fehlerkorrektur." Und auch der Technik kann der Philosoph viel Gutes abgewinnen. Sie eröffnet dem Menschen viele positive Möglichkeiten.

Breiten Raum widmet Karl Popper in seinem Buch der Forderung nach mehr Toleranz. Er macht vor allem die Intellektuellen dafür verantwortlich, daß im Laufe der Geschichte immer wieder großes Leid verursacht wurde. „Massenmord im Namen einer Idee, einer Lehre, einer Theorie -das ist unser Werk, unsere Erfindung: die Erfindung der Intellektuellen !" Das ruft er seinen Kollegen des Geistes zu und fordert sie auf, endlich damit aufzuhören, Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Er erinnert an das fünfte Gebot und an Schopenhauers Ethik, die besagt: „Schade nie-

mandem, sondern hilf allen, so gut du kannst!"

Popper prangert auch die „Torheit" der Intellektuellen an, in einem „Stil der großen, dunklen, eindrucksvollen und unverständlichen Worte" zu reden und zu schreiben. „Diese Schreibweise ist intellektuell unverantwortlich. Sie machte die Haltung möglich, die man als Relativismus bezeichnet und die zu einer These führte, die besagt, daß alle Thesen intellektuell mehr oder weniger gleich vertretbar sind. Alles ist erlaubt. Daher führt die These des Relativismus offenbar zur Anarchie, Rechtlosigkeit und zur Herrschaft der Gewalt."

Popper ermahnt die Angehörigen geistiger Berufe aber auch zu mehr Berufsethik, deren Kern die Forderung nach größerer Bescheidenheit darstellt. Man müsse bereit sein, Fehler einzugestehen, Selbstkritik üben und wohlmeinende Kritik anderer ertragen. Diese Ethik gelte für Wissenschaftler, Mediziner, Juristen, Ingenieure, Architekten, Beamte und Politiker.

Popper wendet sich überdies gegen jene Intellektuellen, die sich als Propheten hervortun, ganz besonders gegen die „raunzenden Propheten des Pessimismus". „Heutzutage scheint es fast, als ob alle zeitgenössischen Denker sich darüber einig seien, daß wir in einer recht elenden Zeit leben. .." Popper stellt dem die These gegenüber, daß unsere Zeit, trotz aller Mängel, die beste aller Zeiten sei, von denen wir historische Kenntnis haben und daß die Gesellschaftsform, in der wir leben, ebenso die beste sei, die wir kennen.

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