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Wir sind die Zeiten
Karl Poppers wenige Monate nach seinem Tod erschienenes Buch „Alles Leben ist Problemlösen” (Piper-Verlag, München) hat die Wucht und Authentizität eines Testaments. Hier schreibt einer, der nicht daran denkt, wie das, was er schreibt, ankommt. Der auf die Schulphilosophen keine Rücksicht nimmt. Hier spricht ein alter Mann, der die Erkenntnis eines langen
Lebens, all seine Erfahrung zusammenfaßt, und zwar in einfachen, verständlichen Worten. Der 93jährige Karl Popper erklärt in einem Ton von oft fast brüsker Klarheit, was er über den Menschen, die Welt, die optimale und einzig sinnvolle und ertragreiche Möglichkeit zu leben meint.
In seinem letzten Werk, dessen Druckfahnen er noch korrigierte, kristallisiert er die komplizierten Beweisführungen, die viele seiner früheren Bücher füllen, in knappe, jedem eingängige Sätze. Die akademischen Kleinhäusler und Großgrundbesitzer der Philosophie können eigentlich nur aufheulen, und das tun sie auch, verhalten und gewunden. Sie wissen, daß hinter den Worten dieses Buches ein sieben Jahrzehnte umfassendes Lebenswerk mit wissenschaftlichen Beweisführungen, strenger Logik und naturwissenschaftlicher Forschung im Bereich des Gehirns und des menschlichen Verhaltens steht.
Obwohl in manchen Zeitungen die wissenschaftliche Kritik verschämte und gelegentlich präpotente Ansätze dazu zeigt (Frankfurter Allgemeine). Karl Popper stemmt sich mit der Kraft seiner Persönlichkeit gegen Stimmung und Trend unserer Zeit: modischen Pessimismus, Geschrei über unsere Not, Armut, Hoffnungslosigkeit, Selbstbejam-merung. „Wir, die wir eine besondere Verpflichtung denen gegenüber haben, die nicht studieren konnten, sind die Verräter am Geist ...” Und: „Nur die unverantwortlichen Intellektuellen konnten in unserer westeuropäischen Welt nur Böses sehen. Sie gründeten die neue Rel lgion, die da lehrt, daß unsere Welt ungerecht und zum Untergang verdammt ist.”
Popper spricht von einer „Paradoxie im Wohlergehen und der Menschheit”, in der die Freiheit allzuleicht etwas Selbstverständliches werde: „Wir dürfen nicht die politische Freiheit wählen, weil wir uns ein bequemes Leben versprechen, sondern weil sie selbst einen letzten Wert darstellt, der nicht auf materielle Werte zurückgeführt werden kann.” Popper nähert sich an vielen Stellen dem religiösen Bereich und bekennt sich zum großen Apriori. Ohne das Elend in unserer Vergangenheit und Gegenwart zu übersehen, stellt er jedem den Satz der Genesis zur Aufgabe: „Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und es war sehr gut.”
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