6874484-1978_39_02.jpg
Digital In Arbeit

Strapazierter Sinn des Lebens

19451960198020002020

Geistlicher Assistent des Katholischen Akademikerverbandes der Diözese Gurk-Klagenfurt

19451960198020002020

Geistlicher Assistent des Katholischen Akademikerverbandes der Diözese Gurk-Klagenfurt

Werbung
Werbung
Werbung

„Für seinen Großvater war das Uberleben der Sinn des Daseins gewesen, während für ihn der Sinn eine Frage des Uberlebens wurde.“ 1978 erschien der Roman, in welchem dessen Autor seinem Antihelden den zitierten Satz als Selbstreflexion in den Mund legt. Die Formel kennzeichnet gut die Not eines verbreiteten Menschentypus unserer Zeit. Das Geschick der Kirche, besonders in der sogenannten westlichen Welt, ist mit ihm eng verbunden.

Der produzierende, der „machende“ Mensch kann vieles. Er „macht“ Industrie und Industriegüter, Häuser, Organisation, Wissenschaft, Filme, Literatur, Politik, Unterhaltung, Musik, Liebe und wer weiß noch was alles, vielleicht auch Religion. Nur Sinn läßt sich nicht „machen“. In dieser Hinsicht wohl auch nicht Liebe und Religion.

Aber der experimentierende Mensch versucht es halt auch damit. Die Unfähigkeit, den Sinn des Ganzen zu produzieren, bewirkt beim Alles-Produ-zenten Verzweiflung oder die Neigung zur Verdrängung. Kein Wunder, daß Psychologen und Psychotherapeuten sich dieser Not annehmen - das Echo ist groß.

Der Kampf, die Sorge ums Uberleben ist in der Ersten und Zweiten Welt für die meisten Menschen nicht mehr das Thema Nummer eins, oder besser: der Motor ihres Lebens. Das hat zunächst einmal eine positive Änderung mit sich gebracht: Im Durchschnitt des Alltags sind viele Menschen (vor allem einfache und ein Teil der Jugend)

auf eine natürliche Weise umgänglicher, freundlicher geworden.

„Im Ernstfall“ aber, wo es um die politische und wirtschaftliche Macht geht, um Verteilung und Umverteilung, um Posten und Pöstchen, um Ansehen in der Öffentlichkeit, um Erfolg in Wirtschaft, Politik, Kunst und Wissenschaft, da sind Toleranz und Güte bald am Ende und der Humor wird zur giftigen Ironie.

Der Mensch blieb (wie schon oft festgestellt) das, was er war: eine Mischung von guten und schlechten Eigenschaften und Verhaltensweisen. Der einzelne und kleinere Gruppen haben wie eh und je die Möglichkeit, sich um Vervollkommnung und selbstlosen sozialen Einsatz zu mühen. So scheint das große Unbehagen bei sensibleren Naturen an unserer Kultur nicht recht verständlich, ist es doch sicherlich nicht schlechter geworden -im Gegenteil.

Das Unbehagen ist aber doch verständlich: Der in Unseren Breiten weithin gewonnene Kampf ums (zeitliche) Uberleben läßt nach neuen, größeren Zielen Ausschau halten, nach differenziertem Glück, nach seelischer Vertiefung, nach größerer Liebe, nach größerer Fülle des Lebens. Diese Sehnsucht hat es zu allen Zeiten gegeben.

Seit vielen Jahrzehnten schon sind jedoch die Träger solcher Sehnsucht einer Täuschung zum Opfer gefallen (fast notwendig): der menschlichere Mensch, der gute.Mensch, der Mensch der Liebe und der Lebensfülle könne geplant und produziert werden wie Waren. Daher die Verachtung, ja oft der Haß gegen die warenproduzierende Gesellschaft, deren naivem Fortschrittsglauben man unwillkürlich aufgesessen ist, vor allem in Kreisen jüngerer Künstler und Wissenschaftler.

Skepsis und Aggressivität aber auch gegenüber der Kirche, die Liebe und Sinn für den anspruchsvolleren Menschen so wenig produzieren kann wie die Industrie oder die Psychologie (die sich beide zusammen entwickelt haben). Die Kirche als Kirche kann auch nicht das Schöne produzieren, sie vermag es, wie neuerdings mahnend gesagt wird, kaum zu hüten.

Sinn nämlich hat nichts aus sich selbst, nur das ewige Sein. Ohne den bewußten Bezug zumindest seiner Sehnsucht auf das ewige Sein (Gottes) gibt es keinen endgültigen Sinn für diese Zeit. Die Sinnsuche bleibt im geschlossenen Kreis, in der zwanghaften Produktion neuer Zwischenziele. Da vergeht dem Menschen der Humor und das Schöne (nur wer es innerlich ersehnt hat, vermag es abzubilden).

Dem Interesse verbirgt sich das Schöne (vgl. Immanuel Kant). Im Schönen als Abbild des Ewigen aber gewinnt der Mensch Ruhe. (Bei Goethe das Wort zum Augenblick: „Verweile doch, du bist so schön!“)

Wie alles Wesentliche ist das Werden des Menschen Gnade, Geschenk. Der Widerstand des herrscherlichen, des produzierenden Menschen, gegen diese Erkenntnis verursacht die unfruchtbaren Schmerzen unserer Zeit. Werden die Menschen die sich Kirche fühlen, auch diesen Menschen noch zu heben vermögen, zu verstehen suchen, leidend an der eigenen Ohnmacht planbarer Hilfe?

Aber: Können wir anders aus dem Gesetz des Kreuzes, Heil als Gnade erwarten? Die Gnade von Glaube und Sinn? Und eine neue Lebendigkeit und Schönheit unserer Zeichen von Glaube und Sinn?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung