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Irgendeinmal das Gluck
Beckett schuf mit „Godot“ eine Cäsur in der dramaturgischen Entwicklung, wie es sie seit Aischylos kaum gab: das handlungslose Stück. Vorläufer waren Gerstenberg und in Einaktern Maeterlinck. Aber auch Anton P. Tschechow schrieb schon 1889, daß in Dramen des Alltags die Fabel fehlen könne. Das zeigt sich besonders bei seinem Schauspiel „Drei Schwestern“ aus dem Jahre 1901, das derzeit im Akademietheater aufgeführt wird.
Es ist dies die Zustandsschilderung innerer Haltlosigkeit einer Gesellschaft, die Schwestern Prosorow und ihren Bruder betreffend, sowie deren befreundete Offiziere. Sie reden Belangloses und Belangvolles um den Sinn des Lebens und der Welt Ohnmächtig ersteht in ihnen die Hoffnung, irgendeinmal in der Zukunft komme für die Menschen das Glück. Das ist kaum politisch, es ist existentiell zu deuten. Vollendet gezeichnete Gestalten bietet Tschechow, die selbst noch im beiläufig gesprochenen Wort ihr Wesen enthüllen.
Vor zwanzig Jahren hat Peter Sharoff, ein ehemaliger Assistent Stanislawskis, versucht, in das Bühnengeschehen viel Helles, Heiteres einzubringen. Aber ist das vom Text her gerechtfertigt? Die Ansätze dafür sind äußerst gering. Dem entgegen arbeitet Otto Schenk vorzüglich die lastende Schwermut heraus, die Leere, die Enttäuschung, die Resignation ohne Widerstand, die Darsteller sprechen meist überaus leise, verhalten, sie blicken vor sich hin, schweigen. Das ungreifbar Drückende wird überaus spürbar.
Den drei Schwestern geben Elisabeth Orth, Gertraud Jesserer und Josefine Platt glaubhaft unterschiedliches Profil.' Herwig Seeböck zähmt als ihr Bruder vorteilhaft das bei ihm gewohnte Rappige. Als Oberstleutnant Werschinin bietet Klausjürgen Wussow gedämpfte Melancholie. Johannes Schauer entwickelt sich mehr und mehr von der Komik weg zum Charakterdarsteller, das erweist auch sein Militärarzt Tschebutykin. Sylvia Lukan überzeugt als Natalja. Wolfgang Hübsch als Tusenbach, Kurt Sowinetz als Kulygin, Adrienne Gessner als Kinderfrau Anfissa bieten weiter gut gezeichnete Gestalten. Rolf Glittenberg entwarf einen ruhig-noblen Salon, einen einfachen Wohnraum und eine wirksame Gartenanlage beim Haus, Silvia Stra-hammer die der Zeit entsprechenden Kostüme. Von Ilse Schneyder und Otto Schenk stammt die Übertragung ins Deutsche, die sich als sehr brauchbar erweist.
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