Die Abschaffung des Asyls

19451960198020002020

Warum sichere Länder dafür sorgen, dass das Recht auf Asyl zum toten Recht mutiert.

19451960198020002020

Warum sichere Länder dafür sorgen, dass das Recht auf Asyl zum toten Recht mutiert.

Werbung
Werbung
Werbung

Vor ein paar Tagen rief mich ein Journalist an und bat mich um ein Interview. Er suchte jemanden, der die Bemühungen der deutschen Regierung um eine europäische Flüchtlingspolitik einordnet. Eine Zeitung sprach von einer „Geisterfahrt“. Gemeint ist der an Werten orientierte Versuch, das Asylrecht aufrechtzuerhalten, während andere EU-Staaten Zäune bauen, Abschiebungen in den Kosovo und Ruanda planen.

Wie sehe ich das? Um dieses Thema einordnen zu können, müssen wir eines verstehen: Dem gegenwärtigen internationalen Asylsystem liegt ein Widerspruch zugrunde. Laut Genfer Flüchtlingskonvention haben jene Menschen einen Anspruch auf Asyl, die aufgrund ihrer politischen Überzeugungen oder aufgrund ihrer „Rasse“, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe fliehen. Das Problem dabei: zwar sieht das internationale System ein Recht auf Asyl vor, aber kein Recht auf Anreise, um einen Asylantrag zu stellen.

Wenn sichere Länder ihre Grenzen für potenzielle Asylwerber komplett dichtmachen, besteht das internationale Asylrecht nur mehr als Fiktion, als totes Recht auf dem Papier. Im Umkehrschluss bedeutet das: Wenn EU-Staaten Zäune bauen und Rückführungen in Drittländer betreiben, ohne gleichzeitig für legale Einreisewege zu sorgen und Verantwortung für das Schicksal der Rückgeführten zu tragen, tragen sie indirekt dazu bei, das Asylrecht zu einem solchen toten Recht zu machen.

Das Interview wurde nie ausgestrahlt. Meine Einordnung war nicht das, was sich die Redaktion erwartet hatte. Und so machen wir als europäische Gesellschaft einfach weiter: Wir halten unsere Hände fest vor die Augen, die Ohren und den Mund. Wir tun so, als würden wir nicht merken, was hier vorgeht – und tragen weiter bei zu einer faktischen Abschaffung des Asyls.

Die Autorin ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung