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„Wir sind die letzten Tschechoslowaken”

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Obwohl die größte Aufmerksamkeit einer Reihe von innenpolitischen Ereignissen den letzten Wochen Jahres 1992 galt, beschäftigte die Zweiteilung der CSFR intensiv die Presse und die Öffentlichkeit Israels. Von Interesse war dies nicht nur für die rund 20.000 ehemaligen Bürger der CSFR, beziehungsweise der CSR und deren Familien, sondern auch für die meisten Bürger Israels. Zwei Tendenzen traten hiebei zu Tage: Unverständnis darüber, daß ein so kleiner Staat wie die CSFR sich überhaupt teilen will, aber auch Erleichterung darüber, daß diese „Scheidung auf Tschechoslowakisch”, wie sie hier bezeichnet wurde, wenigstens auf friedliche und kultivierte Weise, im Gegensatz zu den Völkern Jugoslawiens oder den GUS-Staaten, erfolgte. Natürlich sind die Bürger Israels nicht bis in die letzten Einzelheiten informiert, aber man nimmt hier allgemein an, daß die Wirtschaftslage der Slowakei um vieles schwieriger sein wird als die der Tschechei.

Viele israelischen Zeitungen hatten Ende Dezember Sonderkorrespondenten nach Prag und Bratis-lawa geschickt. Auch das israelische Fernsehen berichtete intensiv über die Teilung. In der Presse wurde stets betont, daß ausgerechnet am gleichen Tag der Vereinigung Europas, die Tschechen und Slowaken, „nach 74 Jahren des Zusammenseins”, auseinandergehen.

Am me*isten bedauern diese Entwicklung diejenigen Israelis, die aus der CSR stammen. Sie fühlen sich größtenteils als Leute, die man um ihre Authentizität gebracht hat, oder besser gesagt, um ihre erste Liebe „betrogen” hat. Ginge es nach ihnen, wäre es bestimmt nicht zu einer Teilung in zwei Staaten gekommen... Einen etwas übertriebenen Ausdruck fand diese Tendenz, als ein Mitglied der „Landsmannschaft ehemaliger tschechoslowakischer Bürger” anläßlich einer Jahreskonferenz den Vorschlag machte, ein Protesttelegramm an Klaus und Mecrar zu schicken. Natürlich wurde der Vorschlag mitleidig belächelt und als irrelevant abgewiesen. Übrigens gibt es unter vielen Israelis, deren Geburtsland die CSR war, auch hie und da Debatten, wobei diejenigen - beileibe nicht alle -, die aus der Slowakei stammen, die Unabhängigkeit der Slowaken voll und ganz unterstützen, während ihre böhmischen Kollegen glauben, daß es der Tschechischen Republik jetzt um vieles besser gehen werde. Einige wiederum behaupten von sich: „Wir hier in Israel sind eigentlich noch die letzten Tschechoslowaken!”

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