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Wirklich nur Notwehr?
Immer häufiger höre ich von höchst ehrenwerten Leuten: ,Jch war lange genug der Blöde wegen meiner Anständigkeit, jetzt langt’s mir“ Wobei mit „ehrenwert“ durchaus nicht jene Spezies gemeint ist, deren geschäftliche Moral seit jeher doppelbödig ist und die ihren Kommerzialratstitel im Grunde ihrem besonderen Geschick bei der Steuerhinterziehung verdanken. Gemeint sind jene, die sich bisher trotz des ringsum wahrgenommenen Sumpfes geradezu penetrant bemühten, gesetzestreu zu bleiben. Aus der Überzeugung, daß Gaunereien anderer nicht eigene entschuldigen, nicht aus Furcht vor Strafe.
Offenbar gibt es aber auch bei der Anständigkeit eine Schmerzgrenze. Und
Schmerzen bereitet es zweifellos, mitansehen zu müssen, wie sich jene, die weniger Skrupel haben, das Leben leichter und angenehmer machen. Es ist dabei nicht einmal die „große“ Korruption d la AKH oder die spektakuläre Millionen-Steuer- hinterZiehung, die schmerzt.
Es sind die täglichen Nadelstiche in der unmittelbaren Umgebung: Die illegale Vermietung einer mit Steuergeld geförderten Wohnung: die A blöse, die sich ein Mieter zahlen läßt, damit er eine Wohnung aufgibt: die Ablöse, die sich ein Hausbesitzer zahlen läßt, damit er die gleiche Wohnung wieder hergibt; die Honoramote auf falschem Namen; die manipulierte Restaurantrechnung, die Taxirechnung mit Agio.
Die Schmerzen verstärken sich, weil dann dazu noch der, der so vorgeht, das Image des Tüchtigen, Cleveren hat. Nicht „so“ zu sein, hat bereits den Beigeschmack des Schrulligseins, der „Anständig fceits’’-Ma nie. Ist doch schlichte Notwehr, bei einer derartigen Steuerbelastung Steuer zu hinterziehen, oder?
Manchmal mag es wirklich Notwehr sein, oft ist es Notwehrüberschreitung, häufig bloß Unanständigkeit. So oder so: Wer sich nicht wehrt, wird nicht nur ausgelacht, sondern darf immer mehr zahlen: Er gehört zu jenen, bei denen das Anziehen der Schraube — sei es durch den Gesetzgeber, sei es durch die Mitmenschen — noch Nennenswertes zutage fördert.
Irgendwann dürfte dann auch beim Lautesten die Schmerzgrenze überschritten sein. Zuerst zaghaft, dann immer forscher integriert es sich ins System, bis er sich schließlich ärgert, nicht längst schon so verfahren zu sein.
Früher glaubte ich, daß dieses System zusammenbricht, wenn einmal die Mehrheit zur ,Notwehrgesellschaft“ gehört. Heute glaube ich das nicht mehr. Wohl fühle ich mich dabei aber noch längst nicht.
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