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Der Wahrheit ins Auge sehen

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Kardinal Hans Hermann Groer hat vor der Veröffentlichung,” vom „profil” um Stellungnahme gebeten, geschwiegen, und er schweigt weiter beharrlich zu den schwerwiegenden Vorwürfen der gravierenden Verletzung der Sittlichkeit und der menschlichen Würde. Diese haben andere entschieden und empört zurückgewiesen, aber nicht entkräftet. Denn der harte Kern aller Solidaritätsbezeugungen für Kardinal Groer lautet: Wir können uns das einfach nicht vorstellen, wir können das nicht glauben. Nicht mehr, nicht weniger.

Mit Peinlichkeiten - etwa das Herumtricksen mit Wohnsitzfragen, die Berufung auf das Beichtgeheimnis und der unsensible Vergleich mit dem Schweigen Jesu - haben manche Verteidiger des Kardinals diesem weit mehr geschadet als genützt.

Auch wenn Kardinal Groer den weltlichen Rechtsweg - aus welchen Gründen immer - nicht beschreiten will, hat ein Grundprinzip dieser weltlichen Rechtsordnung zu gelten: die Unschuldsvermutung. Damit sind aber die ungeheuerlichen Erlebnisse und schrecklichen Erfahrungen als Opfer sexuellen Mißbrauchs nicht vom Tisch, die Josef Hartmann eidesstattlich bezeugt hat. Es ist unchristlich, ihm -so wie es passiert ist —, ohne selbst die Wahrheit zu kennen, einfach niedere Motive, ja sogar im Fernbefund eine kranke Seele nachzusagen. Was, wenn er tatsächlich nicht nur seinerzeit in seiner Würde verletzt worden ist, sondern jetzt für die Wahrheit auch noch erniedrigt wird?

Die Frage „Ist das wahr?” steht groß, quälend im Raum. Tausende Katholiken des Landes wollen es ebenso nicht nur nicht glauben, sondern wollen das auch bestätigt erhalten. Wollen der Wahrheit ins Auge sehen.

Was ist wahr? Ist das wahr? Kardinal Groer ist mit dieser Frage konfrontiert und wird damit bis zu einer Antwort konfrontiert bleiben. Er kann ihr auf Dauer nicht ausweichen.

Eine ausweglose Lage? Man hat zu respektieren, daß der Kardinal diese Klärung nicht im Rechtsweg vornehmen möchte. Ein klärendes Wort, ein einziges klares Wort, würde genügen: etwa ein ganz schlichtes Nein aus dem Mund des Kardinals, im Wissen um die Gewissensverantwortung, die er dafür trägt. Oder zwei, drei Sätze, die eine Unschuldsvermutung zur Unschuldsgewißheit werden lassen, etwa in dem Sinn: Ich habe ein reines Gewissen. Nichts an den gegen mich vorgebrachten Reschuldigun-gen beruht auf Wahrheit. Gott ist mein Zeuge. Nicht nur Kardinal Groer persönlich leidet unter dieser Situation, das Amt und die Kirche Österreichs leiden ebenso unter dem Schweigen des Hirten, das mißdeutet werden könnte. Deshalb: Nur er selbst kann die Wahrheit aussprechen, die für alle - so oder so - befreiend wirken wird.

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