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Gericht über die Kirche

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Mit Kardinal Groer stürzt auch ein bestimmtes Kirchenbild. Ein Psychotherapeut analysiert.

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Mit Kardinal Groer stürzt auch ein bestimmtes Kirchenbild. Ein Psychotherapeut analysiert.

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Ein Aspekt der medialen Berichterstattung über den „Fall Kardinal Groer” ist die Frage nach der Bildhaftigkeit des Vorganges. Bilder sind als versuchte Produktion von „Göttern” durch das 2. Gebot Gottes untersagt. Bilder als katalysatorische Zugänge zur religiösen Ebene jedoch menschlich notwendig und unverzichtbar.

Das alles ist keine akademisch-ferne Rrwägnung, sondern harte mediale Wirklichkeit: Bilder eines bitter aussehenden Kardinals, eines vor-gebeugt-aggressiv diskutierenden Paters, eines jugendlich überschatteten Opfers, einer Bischofsgruppe weihrauchschwingend rund um den Altar schreitend... alle sagen und vermitteln Zugänge zu einer Art von Offenbarung.

Ich habe diesen Prozeß als Gericht empfunden: Eine verborgen gewesene Gestalt tritt plötzlich über die Medien in das Bewußtsein: „Wo Finsternis war, ist Licht geworden”, beschreibt Paulus diesen Vorgang. Es ist ein Gericht über eine bestimmte Form der Kirche Wiens - repräsentiert von der Hierarchie rund um den gegenwärtigen Wiener Erzbi-schof.

Bei einem nachdenklichen Gespräch sagte eine engagierte Sozialarbeiterin: „Von mir aus kann das alles zusammenkrachen! Der Gottesdienst im Stephansdom war ja von einer gespenstigen Atmosphäre, der eher in die Schatzkammer passen würde - oder ins Museum! Was hat das mit uns zu tun?”

Das Kirchenbild (etwas Wichtiges!) hat Schaden gelitten: Wie sieht ein Kardinal unter einer Dusche aus? „Unvorstellbar!” sagen die Hüter der hierarchischen Bildhaftigkeit. „Was spielt sich unter den Talaren ab?” Ist nicht doch der „Mief von 1.000 Jahren” sichtbar geworden, von dem die StudenteTirevolte der 68er Jahre sang? Das sagen die anderen.

Tatsächlich: Immer dieselben Bilder von schwarzen Männern mit roten Käppis und beachtlichen Bauch bin- > den... manche unwürdig darin eingewickelt wie Gestalten aus Urzeiten. Kann das die Kirche Jesu sein?

Dazu die vielen Gegenbilder einer kairotischen vom Konzil inspirierten Kirche: Bunt, elegant, schlicht, solidarisch mit der üblichen Gesellschaftskleidung, nicht abgehoben - keineswegs aus dem Museum... Muß nicht ' das Althergebrachte Platz machen? Kann anders das notwendig Neue endlich Raum gewinnen? Und dann! Die fehlenden Frauen der alther-• gebrachten Hierarchie: Prälat um Prälat, Bischof um Bischof... Mann um Mann... Gibt es ohne Frauen Leben? Nein! Im Gegenbild: die Basisgemeinden, die Kirche „der kleinen Leute”: Frauen, Kinder, Männer, Jugendliche... ein buntes Durcheinander frischen Lebens, nicht belastet mit der tragisch-erhabenen Last der Geschichte.

Ein Kardinal der althergebrachten Kirche kann sich kaum entschuldigen. Er muß „sein Gesicht” wahren. Und das Symbol gilt immer mehr als die faktische Wahrheit. Die Medien berichten über Strategien zur Vermeidung von Wahrheit und Würde.

Ganz anders die zeitentsprechende Kirche „der kleinen Leute”. Da niemand von ihnen so großartig hochwürdig ist, könnten sie sich leichter eine Szene aufrichtiger Reue vorstellen: „Es tut mir leid! Ich will den Schaden wiedergutmachen!” Jeder könnte in den dem Leben entstammenden Bildern auch das eines Kardinals zulassen, der bereit ist, „sein Gesicht zu verlieren”, um sein wahres Gesicht wiederum zu finden.

Mein Vorschlag ist: Riskieren wir eine Szene der Wahrheit und der Versöhnung. Auf der einen Seite stehen Opfer, auf der anderen Seite Täter. Und vertrauen wir auf das jesuanische Bild einer nichttaktischen Konfliktklärung. Und laßt uns dann zusammen aus dem Schaden etwas Positives machen. Es gibt Liturgien dafür, auch Therapien. Was fehlt, ist der Entschluß. Denn: Die Liturgien haben geschichtliche Erfahrung damit. Die Therapien haben gegenwärtig Erfahrung mit diesem Versuch. Es bleibt also wirklich nur das Notwendige zu tun: zeitgemäß-offen-bildhaft Klärung und Frieden zu suchen. (Was im „Fall Groer” noch zu bedenken ist, lesen Sie auf Seite 4).

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