Geheimagent als Präsident

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Seit dem überraschenden Rücktritt von Boris Jelzin am Silvestertag des vergangenen Jahres hat ein weltweites Rätselraten um die Person seines Nachfolgers im Präsidentenamt eingesetzt. Daß Wladimir Putin in seinem früheren Leben Geheimagent in Dresden war, erschwert die Antwortsuche und leistet allen möglichen und unmöglichen Spekulationen Vorschub.

Ein typischer Vertreter der zweiten Reihe, ein Typ wie es ihn dutzendweise beim russischen Geheimdienst und in der Sowjetarmee gegeben hat, urteilen die ehemaligen DDR-Spionagechefs. Putins Aussehen und Auftreten unterstützen das Gesagte: blaß, hager, still, unauffällig, loyal ... Doch diese Beschreibung bricht sich an der Wirklichkeit; und Wirklichkeit ist, daß aus dem wenig erfolgreichen Vizebürgermeister von St. Petersburg innerhalb von nur drei Jahren der mächtigste Mann Rußlands hervorging.

Bleibt trotzdem die Frage, wie aus dem fünften russischen Premier innerhalb von zwei Jahren - dem niemand bei seinem Regierungsantritt eine Erfolgschance zubilligen wollte - der eigentliche Sieger der Duma-Wahlen, der Erbe Jelzins und der höchstwahrscheinliche Gewinner der Präsidentenwahlen im März geworden ist? Sicher nicht aufgrund eines erfolgreichen politischen Programms, darin sind sich alle Beobachter einig. Den Erfolg verdankt Putin dem Krieg in Tschetschenien, der mit einem wiedererstarkten russischen Selbstbewußtsein einhergeht. Ein Feldzug mit ungewissem Ausgang hat im gebeutelten Rußland schon ausgereicht, um den kleinen Putin zur neuen nationalen Galionsfigur zu machen: In der russischen Presse wird Putin mit Mikhail Kutuzov, dem General des Zaren, verglichen, der einst Napoleon vor den Toren Moskaus besiegte; zum Retter schlechthin machte ihn, daß ihm vor drei Jahren die Befreiung seiner beiden Töchter aus einer brennenden Datscha gelang. Was diese Glorifizierungen wert sind, wird sich erst zeigen. Die Entlassung korrupter Jelzin-Anhänger gibt berechtigten Anlaß zur Hoffnung. Aber neue Gesichter machen nicht unbedingt eine neue Politik. Und wie diese Politik unter Putin ausschauen soll, darüber schweigt sich der Ex-Spion - bis auf wenige im Internet publizierte allgemeine Floskeln - noch aus.

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