Regionalismus als Teil politischer Kultur

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Die Grenzen der Staaten sind das Ergebnis der Friedensverträge nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg. Doch innerhalb der Nationalstaaten bestehen historisch gewachsene Regionen. Sie wollen über ihre Angelegenheiten selbst entscheiden, mit Nachbarn kooperieren. Doch sie stoßen in den Staaten oft noch auf Misstrauen.

Wie breit gefächert die Verschiedenartigkeit europäischer Regionen ist, wie unterschiedlich Regionalismus in Europa ausgeprägt ist, zeigten sieben Beispiele, die beim wissenschaftlichen Symposium des Instituts der Regionen Europas in Salzburg debattiert wurden. Das Thema lautete: „Regionalisierung – Stärkung oder Zerstörung der Nationalstaaten?“ Der Leiter der EU-Repräsentation in Österreich, Richard Kühnel, der Direktor des Föderalismusinstituts, Peter Bußjäger, und Elisabeth Alber von EURAC Bozen gingen generell auf die Regionalisierung ein. Wissenschafter und Experten beleuchteten die spezielle Regionalisierung in sieben europäischen Ländern, wie ein Blick auf die Statements zeigt.

Professor Delmartino von der Katholischen Universität Löwen stellte fest, dass die beiden belgischen Regionen Flandern und Wallonien praktisch überhaupt nichts mehr gemeinsam hätten als das gemeinsame Auftreten gegenüber der Europäischen Union. Als Mediator fungiere immer öfter der Ministerpräsident der kleinen Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens.

Jens Woelk von der Universität Trient behandelte den Föderalismus von Bosnien-Herzegowina, der nicht an zu wenig Zuständigkeiten leide. In diesem Land liege das Problem darin, dass es nicht gelinge, dem Gesamtstaat die notwendigen Mindestkompetenzen zu übertragen.

Tamas Korhecz, Provinzminister der Autonomen Provinz Vojvodina, informierte über die derzeit laufenden Bemühungen um ein stärkeres Autonomiestatut der Vojvodina und betonte klar, dass keinerlei Bestrebungen in Richtung Unabhängigkeit vom Staat Serbien bestünden.

Mindaugas Kacerauskis von der Repräsentanz der Europäischen Union in Chi¸sinØau zeigte die enge Verbindung zwischen historischer Entwicklung des Staates Moldau und den Unabhängigkeitsbestrebungen der Region Transnistrien auf. In diesem Problemfall spielen die äußeren Einflüsse von Russland auf der einen und Rumänien auf der anderen Seite eine wichtige Rolle.

Regionalismus stärkt den Nationalstaat

Während Lauri Hannikainen von der Universität Turku die Autonomie der schwedisch besiedelten Åland-Inseln innerhalb Finnlands als funktionierendes und positives Beispiel darstellen konnte, ging aus dem Bericht von Angela Bourne von der Universität Dundee über die Situation im Baskenland die gesamte Problematik militanter, teils krimineller Unabhängigkeitsorganisationen hervor. Das Baskenland gilt wohl als Beispiel einer Region, wo zunehmende Regionalisierung letztendlich zur radikalen Forderung nach Unabhängigkeit geführt hat.

Jürgen Dieringer von der Andrássy-Universität in Budapest wies am Beispiel Ungarns nach, dass eine Regionalisierung ohne Übertragung von Kompetenzen und Finanzressourcen wenig Sinn ergäbe.

In der Zusammenfassung der verschiedenen Beiträge durch IRE-Vorstand Franz Schausberger kristallisierten sich die folgenden Punkte heraus:

* Europa weist eine Vielzahl von verschiedenen Ausprägungen von Regionalismus auf, was positiv zu bewerten ist und die europäische Vielfalt symbolisiert.

* Regionalisierung darf nicht isoliert als Einzelerscheinung gesehen werden, sondern muss immer in das größere historische, geografische und politische Umfeld eingebettet werden.

* Der Regionalismus bedarf zu seinem Funktionieren einer besonderen politischen Kultur des gegenseitigen Grundvertrauens, der Bereitschaft zur konstruktiven Kooperation mit anderen staatlichen Ebenen und mit anderen Regionen. Diese politische Kultur muss vor allem in den Staaten Ost- und Südosteuropas noch in einem mühsamen Prozess wachsen und ist bei Weitem noch nicht überall ausreichend ausgeprägt.

* Die Regionalisierung hat noch immer gegen viele Vorurteile, Ängste und Befürchtungen zu kämpfen und muss vor allem immer wieder unter Beweis stellen, dass Regionalisierung das Gegenteil von Separatismus ist und daher zur Stärkung des Nationalstaates beiträgt.

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