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„Löst die Mastodonten ab”, damit der Kontinent lebe!

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„Europa muß sozialistisch sein, will es bestehen”, hat Frankreichs Sozialistenführer François Mitterrand gefordert. Pluralistisch müsse Europa sein, hat Willy Brandt ihn korrigiert. In Kopenhagen stellte nun Folmer Wisti, Slawist und Gründer des „Dänischen Institutes”, eine neue Forderung für den Fortbestand des alten Europa auf: Ein Europa der Regionen müsse es sein, sonst sei die Uhr für unseren Kontinent abgelaufen. „Zurück zu den Wurzeln der Entwicklung”, fordert Folmer Wisti. Und die Wurzeln liegen nicht im Staat, sie liegen in der Region.

Das vom Staat unabhängige „Dänische Institut für Kulturelle Auslandsbeziehungen auf Regionaler Ebene” hat in Kopenhagen zum zweiten Mal eine Tagung mit dem Titel „Europa der Regionen” abgehalten. Die erste hatte im Vorjahr in Helsingjerr stattge- funden, die Vorbereitungen für Tagung Nummer drei - wieder in Kopenhagen - haben bereits begonnen. Regionalvertreter aus allen Teilen Europas diskutieren in Dänemark ihre Probleme, Ziele und Strategien. Katalonien, Schottland, Wales, die Alpen, Friesland und die Regionen Süditäli- ens waren die Beispiele, an denen die Ideen des Regionalismus diesmal erörtert wurden.

In Großbritannien hat es einiges Aufsehen erregt, daß das „Dänische Institut” auch die schottischen Nationalisten eingeladen hatte. Da die Tagung auf Schloß Christiansborg stattfand, wo auch das dänische Parlament beheimatet ist, glaubte man anscheinend, es habe sich um eine offizielle Veranstaltung auf staatlicher Ebene gehandelt. Die Konferenz hatte auch Nationalisten aus Katalonien als Teilnehmer - ohne „Aufsicht” aus Barcelona oder Madrid. Was die Konferenz erarbeitet, das gibt die privaten Meinungen ihrer Teilnehmer wieder, picht die-offiziellen-von Staaten oder Regiorieh’.’Aber Fôlmër Wisfi, dër diè KorifferehägeleltM>Hdt, ist vont Wert eines solchen Gedankenaustausches auf privater Ebene - in Verbindung mit der Anknüpfung persönlicher Beziehungen - überzeugt. Und auf diesem Weg kann der Regionalgedanke über die Teilnehmer, die ja alle im kulturellen und politischen Leben ihrer Region eine bedeutende Rolle spielen, sehr wohl in die nationalen Entscheidungsgremien dringen.

Bei der Konferenz des Jahres 1978 sollen die Regionen des deutschen Sprachgebietes stärker berücksichtigt werden. Folmer Wisti sieht einen direkten Zusammenhang zwischen der Blüte und stabilen Position der BRD von heute und der Regionalisierung der „West-Zone” nach dem Zweiten Weltkrieg. Das „Wirtschaftswunder” sei, ebenso sehr wie einem monetären Kunstgriff, der Freistellung schlummernder oder zurückgedrängter Kräfte in den Heimatländern zu verdanken.

Noch näher liegt in Dänemark das Beispiel Skandinaviens: Schon in ver gangenen Jahrhunderten machte man dort Schluß mit Großmachtträumen und Zentralismus. Darauf beruht die innere Entwicklung des Nordens. Die einzelnen nordischen Länder konnten ihre individuellen Züge, Kräfte und Fähigkeiten voll entfalten.

Die Blüte der europäischen Kultur, meint Folmer Wisti, sei auch in eine Periode gefallen, in der die Regionen das Bild Europas bestimmt hätten. Zentralisierung habe immer negative Nebenwirkungen. Die europäische Tradition ist prinzipiell regional und de- zentralistisch, sagt der Slawist jütlän- discher Herkunft Der jakobinische und preußische Zentralismus hätten nur Unglück mit sich gebracht: „Löst die Mastrodonten ab und gebt den Regionen ihre Bedeutung zurück!”

Folmer Wisti träumt von einem Europa ohne trennende Grenzen, in dem es zwar die Staaten der heutigen Landkarte noch gibt, in dem die Staaten aber ihre dominierende Bedeutung zugunsten der kleineren Einhei-

ten verloren haben. Und er ist Optimist genug, zu glauben, daß sich auch der Osten diesem Beispiel nicht verschließen könne. Denn durch das Beispiel, nicht durch Propaganda müsse der Westen trachten, Einfluß auszuüben. „Das Beispiel eines Europa der Regionen würde auch in anderen Teilen der Welt Wirkung haben; es würde wie ein Magnet wirken”, erläuterte Folmer Wisti seine Vorstellungen.

Doch einstweilen ist in Westeuropa genug zu tun. Immerhin lassen sich erste Erfolge nicht leugnen. Nicht nur bei Tagungen in Kopenhagen wird der Regionalisierung das Wort geredet. Und über das Ziel eines Europa, in dem die Regionen den Ton angeben, waren sich die Teilnehmer der Konferenz jedenfalls einig, ob sie nun aus Katalonien oder Flandern, der Normandie oder Schottland, Jütland oder Tirol kamen.

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