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Legaler Etikettenschwindel

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Optisch aufgehellt, weichgemacht, merce-risiert, mit Formaldehydharzen behandelt, antimikrobiell, antistatisch oder flammen-schutzsicher ausgerüstet, mit Azo-Verbindungen gefärbt - die Rede ist von den „guten Stücken" in unseren Kleiderschränken. Der Weg vom tex-tilen Rohstoff bis zum fertigen T-Shirt ist lang. Die Fasern werden gereinigt, gesponnen, gebleicht, gefärbt, gewoben und danach mit allerlei Ausrüstungs-Schnickschnack versehen.

Der Textilhilfsmittelkatalog zählt dabei über 7.000 verschiedene Textil-hilfs- und Textilveredelungsmittel. Weltweit werden 1,6 bis 1,7 Millionen Tonnen dieser Chemikalien für Vorbehandlung, Färbung, Druck und

Ausrüstung eingesetzt. Diese Zahlen veröffentlichte das Schweizer Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft zum Thema: „100% Baumwolle: Legaler Etikettenschwindel". Die Schweizer schätzen, daß etwa zehn Prozent der bei der Textilher-stellung und -Verarbeitung eingesetzten Chemikalien auf den Textilien verbleiben, der Rest gehe ins Abwasser. Dazu kommt noch der massive Spritz- und Düngemitteleinsatz auf den Feldern. Allein für Baumwolle werden jährlich 2,5 Millionen Tonnen Pestizide (unverdünnter Wirkstoff) versprüht.

Was demnach als „100 Prozent Baumwolle" in den Läden verkauft wird, trügt teilweise gewaltig.

„Nach der Textilkennzeichnungs-verordnung bezieht sich das ,100 Pro-

Baumwolle,

die beliebteste Naturfaser, wird beim Anbau und bei der Verarbeitung mit Chemie regelrecht überschüttet.

zent' nur auf den Faserstoff Baumwolle selbst", erklärt die Mitarbeiterin des Osterreichischen Textilfor-schungsinstitutes in Wien, Brigitta Colbert. Allerdings, räumt Colbert ein, stimme auch das nicht so ganz, da bis zu zwei Prozent Fremdfasern enthalten sein dürfen.

Heikel wird es dann bei den Chemikalien. Der Anteil an Farben macht etwa fünf Prozent aus, mindestens ebensoviel kann an Anti- Knittermittel, etwa Harnstoff-Formaldehydharzen, zugesetzt sein. Der tatsächliche Baumwollgehalt könne dann mitunter auf weniger als 80 Prozent rutschen, wie die beiden Autoren des kürzlich erschienen Buches „Reiz-Wäsche" vorrechnen (siehe untenstehende Beiträge).

„Ein durchschnittliches Textil enthält zwischen zehn und 20 Chemikalien", erklärt Siegfried Knasmüller vom Wiener Institut für Tumorbiologie und Krebsforschung. Knasmüller hat 226 Textilien mit Hilfe eines Bakterientestes auf erbschädigende Substanzen untersucht.

„In einem unerwartet hohen Anteil" - in sieben Prozent der Proben -konnte der Wissenschafter eine mutagene Aktivität nachweisen. „Diese Textilien können möglicherweise auch beim Menschen Krebs auslösen." Erwiesen sei zumindest, so Knasmüller, daß Textilarbeiter bei Nasen- und Blasentumoren eine doppelt so hohe Krebsrate aufweisen, was durchaus durch Textilfarbstoffe erklärbar sei.

Azo-Farbstoffe und die Gruppe der

Flammenschutzmittel seien am gefährlichsten. Allerdings sei es ein Fehler zu glauben, daß eine Untersuchung dieser Substanzgruppen ausreiche, warnt Knasmüller. „Wenn man von den 1.000 möglichen Chemikalien nur ein paar mißt, dann ist das eine reine Augenauswischerei. Das Textilstück sollte als ganzes, etwa durch einen Bakterientest, untersucht werden."

Neben einer möglichen Krebsgefahr können durch Textilien auch Allergien ausgelöst werden, wie Oberärztin Tamar Kinaciyan vom Wiener AKH weiß. „Wir haben Pati-

enten, die in erster Linie auf Farbstoffe und Gummisubstanzen allergisch reagieren." Allergien drücken sich durch Rötungen, Juckreiz, Ekzemen und kleine Knötchen aus.

Auch die Verkäuferin von Naturtextilien, Brigitte Neuhauser, kann durch ihre Erfahrungen mit den Kunden bestätigen, daß herkömmlich

hergestellte Bekleidung krank machen kann. „Vor allem Kinder haben oft Probleme. Ich konnte mir vorher gar nicht vorstellen, wieviele Kleinkinder mit Hautproblemen zu kämpfen haben."

Die junge Geschäftsfrau ist überzeugt, daß der Verkauf von hochqualitativer Naturkleidung in den nächsten Jahren boomen wird, da sei noch ein „enormes Potential" vorhanden. Der „kratzige Müsli-Look" ist dabei aber nicht mehr gefragt. „Es sind nicht mehr nur die Alternativen, die bei uns einkaufen. Zunehmend interessiert sich auch die breite Öffentlichkeit dafür", sagt Neuhauser.

Chemiefreie Naturtextilien kommen zunehmend in Mode. Auf diesen Trend reagieren auch Umweltschutzorganisationen. Der

IWorld Wide Fund for Nature (WWF) bietet in einem über 50 Seiten starken Katalog ihre „umweltgerechte" Kollektion an.

Der WWF betreibt derzeit das Projekt „biologisch angebaute Baumwolle" in Griechenland. Dabei werden keine Spritzmittel verwendet. Um Entlaubungsmittel zu vermeiden, wird die Baumwolle von Hand gepflückt. Die daraus hergestellten T-Shirts oder Pullover werden über den WWF vertrieben.

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