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Das Herz und das Kommende

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Vor wenigen Tagen starb in Wien, kurz vor seinem sechsundfünfzigsten Geburtstag am 15. November, Doktor August Zechmeister. Er starb, wie so viele Menschen heute, an einem Herzinfarkt. Für diesen einmaligen und einzigartigen Menschen hat diese Todesart jedoch den Charakter eines ernsten, hohen Symbols.

„Das Herz und das Kommende“: Kurz nach Kriegsende erschien dieses Buch Zechmeisters, aufrüttelnd für viele, die ein Erwachen der Herzen in der linden und so aufregenden Luft nach 1945 spürten. Zechmeister gehört einem joanneischen Christentum an, wie es sich seit Johannes XXIII. in schweren Wehen Bahn zu brechen sucht, im Bemühen, die Kasematten alter Festungen aufzusprengen. Von Haus aus Theologe — ein Laientheologe mit einem langjährigen Studium der Theologie, das er 1935 in Wien mit dem Doktor der Theologie abschloß —, wählte Zechmeister äußerlich die Existenz eines Bibliothekars. Jede freie Stunde und jeder ersparte Schilling gehörten der Arbeit an der Edition von Schriftenreihen, die er, ohne die fragwürdige „Öffentlichkeit“ unseres Konsum- zeitaltens zu berühren und zu erreichen, an einen Freundeskreis in Europa und darüber hinaus versandte. In diesen Schriftenreihen veröffentlichte er eigene Studien, so 195 „Kirche und Kirchenvolk — Elemente und Gestalten einer theologischen Soziologie“ — hierin seine „Theologie der Gemeinschaft“ — und die Studien und Arbeiten von Theologen und Laien, die sonst wohl nirgends Publikationsmöglichkeiten gefunden hätten. Dieser hierzulande zutiefst einsam lebende, überaus zartfühlende Mensch, der doch auf diesem Erdkreis bedeutende Menschen zu seinen Freunden zählen durfte (wie etwa Emst Michel;

Frankfurt), unternahm kühn zwei bedeutende Wagnisse. Das erste galt der Untersuchung der Aufgaben eines eschatplogischen Christentums, einer Kirche in der Endzeit, nach ihrem Selbstverständnis und ihrer Selbstfesselung im „konstantinischen Zeitalter“.

Sein zweites Wagnis galt dem Brückenschlag zwischen Katholizismus und Sozialismus in Österreich. Zechmeister wurde einer der Gründer der Arbeitsgemeinschaft praktizierender Katholiken in der Sozialistischen Partei. Seine Schriften „Kirche und Sozialismus“ und „Zur Ehe- und Konkordatsfrage“ haben beträchtliches Aufsehen erregt — und regen Widerspruch gefunden.

Erinnern wir uns an diesem Zusammenhang, um das rechte Maß für den Blick auf diesen Pfadfinder einer offenen Gesellschaft von morgen zu gewinnen — an die scharfe Ablehnung, die vor dreißig, fünfzig und siebzig Jahren „die roten Pfarrer“ getroffen hat, die die Kirche mit dem 19. und 20. Jahrhundert versöhnen wollten.

Reinhold Schneider, in vielem ein spiritueller Bruder Zechmeisters, hat von notwendigen „Spurenelementen“ gesprochen, deren eine Gesellschaft bedarf, soll sie nicht versumpfen und an Selbstvergiftung und Selbstbetrug verenden. August Zechmeister war ein solches Spurenelement: seit Ferdinand Ebner hat der österreichische Katholizismus wenige Menschen dieser Art hervorgebracht. Gegner und Freunde haben ihm zu danken: für die hohe Redlichkeit seines Herzens, für die Kühnheit seines Experiments, das in seinem theologischen Ausholen in Richtung Zukunft Funken und Samen ausgestreut hat, die der Wind — der Wind des Pneumas, des Geistes hinweht, wohin Er will.

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