6741301-1966_43_03.jpg
Digital In Arbeit

Es regnet Proteste

Werbung
Werbung
Werbung

Die Regierung Imre Nagy protestiert und erklärt den Austritt Ungarns aus dem Warschauer Pakt, verkündet die Neutralität des Landes. Am 2. November verschwindet Jänos Kädar, der bis dorthin als neuer Generalsekretär einer neuen kommunistischen Partei auf legaler, demokratischer Basis Imre Nagy zur Seite stand, aus Budapest. Zwei

Tage später meldet er sich aus Szol- nok, während die Sowjettruppen an diesem 4. November bei Morgendämmerung in die ungarische

Hauptstadt eindringen. Nagy und seine Mitarbeiter finden in der jugoslawischen Botschaft Asyl. Sie werden nach einigen Wochen entführt, und im Sommer des nächsten Jahres wird Nagy mit drei seiner Mitangeklagten nach einem Geheimprozeß hingerichtet. Die gesamte Weltpresse tobt, vielleicht noch mehr als nach dem 4. November. Es regnet an Protesten, aber hatte nicht auch die Sowjetregierung protestiert, als Ende Oktober 1956 britische und französische Truppen in die Suezkanalzone eindrangen?

Präsident Eisenhower erklärt nach seiner Wiederwahl, die USA habe die unterworfenen Völker niemals ermutigt, sich zu erheben. Eine Viertelmillion meist jugendliche Ungarn durchschreiten bei Nacht und Nebel die im November und Dezember 1956 noch schlecht gehütete Grenze und werden im Westen mit offenen Armen aufgenommen. Österreich bestätigt sich und der Welt, daß es die Erklärung der Menschenrechte ernst meine. Es sind Wochen und Monate voll fiebernder Aktivität, tätiger Nächstenliebe, eines Hin- und Herschwankens zwischen Bestürzung und Hoffnung.

Alles ist so nahe und zugleich so fern, scheint vertraut und ist unheimlich fremd zugleich, und selbst die unmittelbaren Zeugen können nur stammelnd erzählen, was sie sahen, und das war zumeist nur ein Bruchstück eines Ganzen, das niemand sah.

Erst langsam ziehen die großen Experten der Weltnachrichtenagen- turen, die journalistischen Stars ab.

Zehn Jahre ist es her, aber das letzte Wort über die Tage zwischen dem 23. Oktober und 4. November

1956 ist noch nicht gesprochen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung