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Gemeinsame Christlichkeit

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Für mich war die Entscheidung für ein vereintes Europa nie ein Problem, und ich frage mich, wie für einen Menschen, dem Kultur wichtig ist, der Wunsch nach einem gemeinsamen Europa von irgendwelchen Zweifeln begleitet sein kann. Im Bereich der Kultur gibt es nämlich längst ein solches Europa, das freilich durch provinzielle Bürokratien, durch wirtschaftliche Kurzsichtigkeit und engstirnige Nationalismen ständig gestört wird. Die europäische Gemeinsamkeit der Kultur tritt in jeder Stadt, an jedem Ort Europas auf und ist so selbstverständlich geworden, daß allzuviele Staatsbürger sie übersehen. Das Alltägliche verschwindet bedauerlich leicht im Unbewußten und wird gar nicht mehr wahrgenommen. Was wäre Europa ohne die griechische Kultur? Ohne die lateinische Ratio und Organisationsenergie? Hätten wir ein Parlament ohne die Tradition von Athen (Perikles), von Paris (Französische Revolution, Erklärung der Menschenrechte), ohne die „Magna Charta Libertatum”, die „Habeas-Cor-pus-Akte” von England? Unsere Palais sind in so vielen europäischen Städten von italienischen, französischen Baumeistern errichtet, überall finden wir Einflüsse der Renaissance aus Florenz, des Barock aus Rom und Paris.

Unsere Opernhäuser spielen täglich italienische, französische, deutsche Opern, unsere Theater Stücke aus allen Ländern und Sprachen. Wir bewegen uns längst in einem gemeinsamen geistigen Raum. Sogar politisch war schon lange von „Weltbürgertum” (Goethe), von „Paneuropa' (Richard Coudenhove-Kalergie), sogar von einer „Internationalen” (sozialistisch) die Rede. Die Nationalismen, die so rasch in Chauvinismen ausarteten, versetzten uns den Rückschlag. Für Christen kann es überhaupt keinen Zweifel am Sinn der europäischen Einigung geben: die europäische Kultur ist, auch wenn dies manche nicht wahrhaber%wollen, eine christliche Kultur, und alles, was sie behindert, sie durch ethnische und nationale Schranken zerstückelt, sollte aufgehoben werden. Der Schritt in die EU führt in diese Richtung — wenn wir uns stark genug engagieren.

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