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Ein Büchlein über den absolut unkorrekten Umstand, dass der Rebensaft gelegentlich auch trunken macht. Gedichte, Betrachtungen und Historisches rund um den Wein.

Hunderte Bücher werden Jahr für Jahr über den Wein geschrieben, nüchterne, informative, lehrhafte. Und obwohl es heißt, Wein mache geschwätzig, werden sie alle offensichtlich nicht nur im nüchternen Zustand geschrieben, sondern auch gelesen. Denn der Wein, hören wir immer wieder, sei eine ernste Angelegenheit. Vor allem auf die Nüchternheit der Wein auf Wein verkostenden Experten kann man sich verlassen. Schrecklich für die japanischen Investoren, die Chateau Yquem, das Mekka, in dessen Himmelsrichtung sich die Verehrer aller edelsüßen Tropfen täglich dreimal verneigen, aufkauften. Keine Chance, sich auf die Besoffenheit der Tester auszureden, die eine Trockenbeerenauslese vom Neusiedler See für einen Yquem hielten.

Und dann kommt ein Autor namens Hans-Jörg Koch und wagt das Undenkbare, den Gipfelpunkt der weingeistigen Unkorrektheit: Er bringt den Wein, der Rezensent traut sich kaum, es hinzuschreiben, mit der Trunkenheit in Verbindung. Er geht noch weiter. Er zitiert sogar Autoren und Werke, die den verpönten Zustand, den kein ernster Weinkenner oder renommierter Weinexperte jemals kennengelernt zu haben zugeben würde, besingen und in Gedichten rühmen!

Leute hingegen, die schon einmal einen kleinen Vollrausch absolviert und folglich in ernsten Weinkreisen keinen Ruf mehr zu verlieren haben, werden Kochs völlig dem Weingenuss statt der Weinkunde hingegebenes Büchlein erfrischend finden, wenn dieses schrecklich nüchterne Wort in dem Zusammenhang gestattet ist. Und statt der todtraurigen Frage, ob der eben kredenzte Tropfen nach Feuerstein oder Stahl schmecke, die viel lustigere erörtern, wann der Dichter der unten zitierten Zeilen nüchtern und wann er beschwingt gewesen sei, beim Verfassen seines Gedichtes "Herr Durst" oder seines berühmtesten und um vieles bekannteren Werks. "Herr Durst" hebt folgendermaßen an:

"Herr Durst ist ein gestrenger Mann, / Der läßt sich gar nicht foppen: / Ob's Wetter gut ist oder schlecht, / Er geht nicht ab von seinem Recht, / er fordert seinen Schoppen."

Das berühmteste Werk des Dichters, er hieß Hoffmann von Fallersleben, beginnt mit der Zeile "Deutschland, Deutschland über alles". Im übrigen hat ein gewisser Promillegehalt des Blutes große Kunst oft genug noch gefördert, wenn ihm der Körper kaum mehr gewachsen war, anderenfalls hätte Josef Roth seinen "Radetzkymarsch" nicht geschrieben und Toulouse-Lautrec einige seiner schönsten Bilder nicht gemalt. Wahrscheinlich war Hoffmann von Fallersleben auf Helgoland doch nüchtern, als er das Deutschland-Lied schrieb, die Insel war damals ja noch nicht das Duty-free-Paradies, das sie jetzt schon wieder nicht mehr ist.

Koch zitiert Hymnen auf den Wein, aber auch Curiosa. Einer Bewertung der Weinjahrgänge seit 1660 können wir entnehmen, dass den Wienern durch die Zweite Türkenbelagerung nicht viel entging, weil unter dem Jahrgang 1683 "mittelmäßig und wenig" vermerkt ist. Zu den schönsten Hymnen zählen jene des Dichters Li Tai-bo (701 bis 762, uns eher als Li Tai-pe bekannt), zu den hübschesten Curiosa die Empfehlung aus dem Jahr 1709, sich vor der Kur mit Rheinwein zur Ader zu lassen. Kaum zu glauben, dass es schon im Spätmittelalter das Wein-Pendant zu den heutigen Lokalen gab, in denen man sich für einen Fixbetrag nach Herzenslust vollfressen darf. Erasmus von Rotterdam stellte sogar fest, tüchtige Stundentrinker seien den Wirten angenehmer als Zezerln, die schon an einem Vierterl würgen. Der von Pseudo-Félix-Chrétien anno 1537 gemalte "Abstieg in den Weinkeller" deutet auf genügend Platz für viele Fässer hin, die Arme des Mannes im Hintergrund lassen auf leichte Beschwingtheit des Malers schließen. Aber vielleicht war er stocknüchtern und hatte keinen guten Tag.

WEIN

Eine literarische Weinprobe.

Herausgegeben von Hans-Jörg Koch. Reclam Verlag, Leipzig 2002, 144 Seiten, kt., e 15,40

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