Jonke - © Foto: APA / Herbert Pfarrhofer

Bachmannpreis: Gert Jonke – der Mann, der von der Sprache kam

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1977 wurde erstmals der Ingeborg-Bachmann-Preis vergeben – Gert Jonke hat ihn bekommen. Teil 2 einer Serie mit Preisträger(innen)-Porträts anlässlich der 45. Tage der deutschsprachigen Literatur, die im Juni 2021 stattfinden werden.

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1977 wurde erstmals der Ingeborg-Bachmann-Preis vergeben – Gert Jonke hat ihn bekommen. Teil 2 einer Serie mit Preisträger(innen)-Porträts anlässlich der 45. Tage der deutschsprachigen Literatur, die im Juni 2021 stattfinden werden.

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Er war kein Unbekannter mehr, als Gert Jonke 1977 als Einunddreißigjähriger zum ersten Ingeborg-Bachmann-Preisträger gekürt wurde. Sein „Geometrischer Heimatroman“ hatte acht Jahre zuvor einiges Aufsehen erregt, mit „Beginn einer Verzweiflung“ und „Die Vermehrung der Leuchttürme“ hatte er seinen Ruf als ein eigenwilliger Erzähler, der aus den Tiefen der Sprache kommt, gefestigt. Untergekommen war er bei Suhrkamp und Residenz, den bevorzugten Adressen für alles Neue. Für einen Erzählrealismus, der damals für die Konkurrenten Horst Bienek oder Herbert Eisenreich verbindlich war, war Jonke damit verloren. Beide wiesen eine imposante Veröffentlichungsliste auf, gegen beide setzte sich Jonke durch. Das Klima unter den Autorinnen und Autoren muss angespannt gewesen sein, zumal Bienek notierte, dass er sich lieber unter der Jury als unter seinen Kollegen aufgehalten habe.

Die Entscheidung darf als Abschied von der Nachkriegsliteratur gewertet werden, für die Horst Bienek stand, der seinen ersten Band der Gleiwitz-Tetralogie, „Die erste Polka“, bereits vorgelegt hatte. Seine Poetik folgte einem Realismus, der an einzelnen Schicksalen, durchwegs plastisch gestaltet, Zeitgeschichte nachvollziehbar werden ließ. Nicht so bei Jonke, der sich vom Anspruch, die Welt in ihren Erscheinungen abzubilden, längst verabschiedet hatte. Vom Erzählen wollte er dennoch nicht lassen, nur kamen seine Geschichten nicht aus der beobachtbaren Welt, sondern aus einer Fantasie, die, einmal angestachelt, sich sofort zu Sprachexerzitien in Rhythmus und Musik auswuchsen. Das unterscheidet ihn von der Wiener Gruppe um Gerhard Rühm und Konrad Bayer, für die Erzählen ein Sakrileg bedeutete. Sie verstanden sich als Experimenteure auf dem Feld der Sprache und setzten unserer Suche nach Bedeutung hinter den Wörtern eine Narrenkappe auf. Das war die österreichische Version einer Rebellion gegen die Pervertierung der deutschen Sprache durch die Nationalsozialisten. Jonke, eine Generation später, stellte sich in die sprachkritische Tradition.

Sprachexerzitien in Rhythmus und Musik

Der herkömmlichen Welt stellte er eine Gegenwirklichkeit entgegen, die kein festgefügtes Monument war, sondern flüchtig blieb – wie Sprache eben, wandelbar, stets auf dem Sprung zu neuer Wirklichkeit. Der Schwebezustand war der Idealmodus, den Jonke in seiner Literatur anstrebte. Deshalb diese ständige Aufbruchstimmung in seinen Texten, diese rhetorische Absetzbewegung von allem Bewährten, Bekannten, um ja nicht Wurzeln zu schlagen. Mit dem gemeinen Hausverstand kommt man bei Jonke nicht weit. Und das ist gut so, denn dem ist in seiner Beschränktheit nicht zu trauen. Also, auch so ein Jonke-Bild, hält er es mit den Vögeln und hebt ab in die Lüfte. So findet er zu besonderer Leichtigkeit, und die Enge der Verhältnisse zählt nicht mehr.

Der Autor ist Literaturkritiker.

Die 45. Tage der deutschsprachigen Literatur mit der Verleihung des Ingeborg-Bachmann-Preises werden vom 16. bis 20. Juni 2021 im ORF-Theater im ORF-Landesstudio in Klagenfurt stattfinden und auf 3sat live übertragen. Jury: Mara Delius, Vea Kaiser, Klaus Kastberger, FURCHE-Feuilletonchefin Brigitte Schwens-Harrant, Philipp Tingler, Michael Wiederstein, Insa Wilke (Vorsitz).

In dieser Serie stellt Anton Thuswaldner Preisträgerinnen und Preisträger aus 44 Jahren vor.

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