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Stifter und kein Ende

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Im „Kleinen Stifterbuch“ wird keine Erbauung versucht, die bloß ein Klischee bestätigt, sondern herausgefordert. Der Herausforderer ist Herbert Eisenreich, sein Anliegen denkbar einfach: „Demonstrieren, wie es zu der Entstehung von Kunstwerken kommt, die ihren Verfertiger weit überragen und über Geschlechter hinweg von der Möglichkeit menschlicher Größe zeugen.“ Eisenreich will zeigen, daß erst die Leidenschaften und die Leiden Stifter zu jenem großen Dichter gemacht haben, als den wir ihn kennen (oder nicht kennen): zum Dichter der Ordnung und des Maßes, der Sittlichkeit und der Freiheit, zum Dichter einer „vorbildhaften Welt“. Im Sinne der Herausforderung braucht Eisenreich Extreme, um schließlich Klarheit zu sdiaffen. Diese Extreme sind einerseits die völlige Verkennung Stifters als Idylliker (egal zu welcher Zeit) oder die Idealisierung Stifters (und die Erbauung an den moralischen Inhalten seiner Werke), anderseits Eisenreichs Betonung der dunklen Züge im Charakter oder Leben Stifters und der dafür verwendete Stil. Bei der Schilderung der schlechten Eigenschaften Stifters fehlt es dem Verfasser wahrlich nicht an Übertreibungen in der Wahl der Ausdrücke und Bilder, aber auch nicht an billigen Schablonen, Sätze wie „Im Inhalt ist der .Nachsommer' eine Kritik des früheren Artisten Stifter, im Stil aber eine Kritik des Menschen Stifter“ sind trotz vorangehender Erläuterung Wortspielerei. Die ganze Anlage des Stifter-Porträts ist einseitig: Da werden wichtige Ereignisse in Stifters Leben oder Züge seines charakterlichen und dichterischen Wesens knapp aneinandergereiht berichtet, mit Zitaten aus anderen Arbeiten garniert und nur kurzen, unbedeutenden Sätzen Eisenreichs versehen. „Witiko“ wird als „eigentlich inhaltslos, weil wesentlich musikalisch“, in dem „alles, wovon gehandelt wird, in Sprache verwandelt“ ist, beurteilt, und das mit der wirklich „simplen Erklärung“: „ ... Stifter war ein ... ganz ungewöhnlich leidenschaftlicher Mensch.“ Das selbst für Eisenreich so wichtige Kapitel „Sprache“ besteht fast nur aus Andeutungen ohne Belege und Erklärungen, die für den Leser nützlich wären. Zu schreiben: .....weil wir

Stifters Sprache besser lesen lernen wollen, bewegen wir uns in des Dichters menschlichem Elend“ genügt als Hinweis nicht. Man kann auch wohl nur schwer daran zweifeln, daß Stifter spätestens nach Erkenntnis der Wirkung seiner Schriften bewußt „zur sittlichen Hebung des Menschengeschlechts“ beitragen wollte, sogar wenn die erste Ursache seines Dichtens seine eigene Rettung gewesen ist.

Das „menschliche Elend“ Stifters wird freilich breit dargestellt: Als Leidenschaftlichkeit und doch Versagen in der Liebe, als übertriebene Krankhaftigkeit und Selbstbezogen-heit, als Unleidlichkeit und Schönrederei. Ob Eisenreich dabei die Konzedierung der Schwächen (zum Beispiel des Selbstmordversuches) verlangt oder ob er diese Schwächen kritisiert (wie das Verhalten gegenüber Fanny Greipel), Eisenreich malt alle Schwächen aus, denn auf sie gründet er sein Anliegen: Vom Dichter eines „gereinigten Menschentums“ zu sprechen und dabei zu zeigen, daß „alles Große auf dieser Welt nur dem nie irritierbaren Willen entspringt, ...jede Niederlage in Kauf zu nehmen, wenn in ihr die Chance eines Sieges enthalten ist. Zu zeigen, worauf es ankommt, nämlich die Herausforderung anzunehmen“. Eisenreichs Buch will kein wissenschaftliches Werk und nichts Komplettes im Sinne der Wissenschaft sein — und ist es nicht —, sondern der Versuch eines „wahrhaften Porträts“ mit seinen faszinierenden Charakteristiken, von denen auf das Ganze geschlossen werden kann. Das Buch darf daher auch nicht als wissenschaftliche, sondern nur als künstlerische Abhandlung gewertet werden, die Gestaltung entspricht den persönlichen Bedürfnissen Eisenreichs. Auch stilistisch, etwa im Bild des Schneesturms bei der Geburt des Helden, oder später in der Übertragung des Bildes der Donaustrudel auf Stifters Leben in Wien, oder gar in der Charakterisierung Stifters durch das Bild von den Kakteen. Allerdings hätte es Eisenreich bei dieser durchaus künstlerischen Gestaltung vermeiden müssen, die Wissenschaften ungerechtfertigt anzugreifen. Denn die ernste Forschung sieht Stifter längst nicht mehr als einen idyllischen Naturschilderer, wie es Eisenreich an manchen Stellen vorspiegeln möchte, sie weist vielmehr deutlich auf das Chaotische und Dämonische in Stifters Leben und Werk hin. Natürlich wendet sich Eisenreich mit Recht gegen alle — vor allem wohlmeinenden — Simplifizierungen in der Beurteilung Stifters. In der Herausforderung liegt also doch die Stärke des „Kleinen Stifterbuches“. Es mußte — bei aller Einseitigkeit Eisenreichs — auf das Dunkle, Dämonische und Chaotische und — bei allem Mangel in der Ausführung — auf die Bedeutung der Sprache und Form in Stifters Leben und Werk hingewiesen werden. Indem Eisenreich an die dunklen Punkte rührt, dient er der richtigen Bewertung Stifters in dessen Leidenschaften, Ungereimtheiten und Schwächen. Und letztlich geht es Eisenreich bei der Herausarbeitung der untergründigen Eigenschaften seines Helden doch darum, diese

Eigenschaften zu entschuldigen. Die Herausforderung ist also auch ein Akt der Reinigung. Das Altersbild Stifters entspricht dann auch den Bemühungen Eisenreichs: den Dichter zu zeigen, dessen ganze Natur nur noch davon zeigt, „aus welchen irdischen Tiefen der überirdische Schatz (der) Dichtung gehoben werden mußte“ und „daß da einer das äußerste Opfer zu leisten bereit gewesen war“. Wie sehr das Dämonische auch in das Werk Stifters Eingang gefunden hat und Stifter nicht' einfach der Dichter des „sanften Gesetzes“ ist, hätte sogar ruhig noch gründlicher herausgearbeitet werden können.

Die Einteilung der Kapitel des „Kleinen Stifterbuches“ richtet sich nach der zeitlichen Folge der äußeren Ereignisse des Lebens, die Kapitelüberschriften — Der Mensch, Der Künstler, Die Politik, Die Sprache —

sind dafür zunächst eher irreführend. Sehr gut ist die Auswahl und Anordnung der Bilder zwischen den einzelnen Kapiteln, wie überhaupt die ganze verlegerische Gestaltung des Buches. Auch die Zeittafel am Schluß des Buches ist durch den Uberblick über die gleichzeitigen Ereignisse angenehm.

Eisenreich hat uns vor einem idealisierenden Stifter-Bild — der Gefahr eines bibliophüen Bändchens — verschont. Er wollte Mythen zerstören, brachte dabei aber auch nichts Neues. Der Wert seines Büchleins liegt also vor allem in dem radikalen Engagement, mit dem es geschrieben ist. Mag vieles falsch beurteilt, mangelhaft, einseitig oder übertrieben sein, im letzten hat Eisenreich doch einen Dienst geleistet, und seine Herausforderung sei gerade vor Beginn des Stifter-Jahres (zum Tod Stifters vor 100 Jahren) nicht nur angenommen, sondern begrüßt!

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