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In Linz keine „Prawda“

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Die Zahlen der Media-Analyse (MA) über österreichische Massenmedien sprechen eine deutliche Sprache: Gegenüber 1967 erreichten die Nicht-Parteizeitungen im Jahre

1969 schon um 700.000 mehr Leser täglich, die ÖVP-Zeitungen verzeichneten im selben Zeitraum einen Rückgang um 32.000 tägliche Leser. Diese Zahlen sind seit 15. November

1970 nicht nur durch eine natürliche Entwicklung überholt, sie stimmen samt und sonders nicht mehr. Die 133.000 in der MA ausgewiesenen „Volksblatt“-Leser sind von den ÖVP-Leserzahlen ab- und zum Großteil den Nicht-Parteizeitungslesern zuzuzählen. Gesetzt den Fall, die ÖVP-Zeitungen hätten 1970 auch noch die für 1969 ausgewiesenen 355.000 Leser, so bedeutet die Ein-

Stellung des Wiener „Volksblattes“, daß die ÖVP mit einem einzigen Akt darauf verzichtete, 31,9 Prozent der auf sie hörenden Menschen anzusprechen.

Noch wenige Wochen zuvor, auf dem großen Mitarbeiterkongreß der Volkspartei, war die Reform der Pressearbeit als derzeit vordringlichste Aufgabe deklariert worden. Bundesparteiobmann der ÖVP ist Dr. Hermann Withalm. Geschäftsführer des Verlags des „Volksblattes“ ist.— ebenfalls Dr. Hermann Withalm. Der erste Schritt der Reform bestand also darin, daß man zusperrte. Was nicht unbedingt abwegig ist, setzt man an Stelle eines unrentabel gewordenen Objekts etwas anderes.

Doch der zweite Schritt läßt auf sich warten. Bisher reichten die kindlichen Versuche, verlorenes Terrain aufzuholen, nicht über verdichtete Einladungen für unabhängige Journalisten zu Mittagessen mit hohen Herren der ÖVP^Führungsspitze hinaus, sieht man von diversen abgezogenen Funktionärsrundschreiben einzelner Landesparteilteitungen ab. Das ÖVP-Hauptquartier stellte in Aussicht, seine Funktionärsblätter „Das aktuelle Stichwort“ und „Brennpunkt“ in noch höherer Auflage als bisher zu produzieren.

Eine ähnliche Entwicklung wie das Wiener „Volksblatt“ drohte auch das „Linzer Volksblatt“ zu nehmen, das von 1967 bis 1969 laut MA 8000 Leser verlor, obgleich es keine Parteizeitung ist, sondern vielmehr vom Katholischen Pressverein herausgegeben wird, der dem OÖ. Landesverlag gehört. Die aberösterreichische Volkspartei handelte jedoch anders als die Kollegen unter der Enns: Sie bildete eine neue „OÖ. Zeitungs-Verlags- und Vertriebsgesellschaft m. b. H.“, die ab 1. Jänner 1971 das „Linzer Volksblatt“ herausgeben wird. Neuer Chefredakteur wird der frühere ÖVP-Bundes-pressereferent Peter Klar sein. Er stellte in ersten Kontaktgesprächen mit seiner neuen Redaktion in Aussicht, keine „Prawda“ herstellen zu wollen, sondern ein Regionalblatt mit stark lokalem Charakter, ein „Komplementärorgan zu den überregionalen Massenmedien“.

Gelingt dieses Konzept, dann wird Oberösterreich ebenso wie die Steiermark („Südost-Tagespost“) und Kärnten („Volkszeitung“) passable ÖVP-Zeitungen haben, nicht aber wird die Oppositionspartei im Wiener und niederösterreichischen Ballungsraum über eine Tageszeitung verfügen. Einbrüche scheinen Fachleuten höchstens vom Süden her bis Wiener Neustadt und vom Westen her bis Amstetten möglich. Das Problem einer „konzentrierten Information der Funktionäre und einer koordinierten Information der Öffentlichkeit“, das 95,1 Prozent der ÖVP-Mitarbeiter im Stadthallenkongreß als vordringlich bezeichnet hatten, bleibt damit — wie so vieles in der ÖVP — ungelöst.

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