"DAS RANKING-FIEBER wird wohl vorübergehen"

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Die Evaluation von akademischen Leistungen boomt. Doch lässt sich die Qualität von Lehre und Forschung auf die Zahl bringen? Yves Gingras über Missbrauch und perverse Effekte der Uni-Rankings.

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Die Evaluation von akademischen Leistungen boomt. Doch lässt sich die Qualität von Lehre und Forschung auf die Zahl bringen? Yves Gingras über Missbrauch und perverse Effekte der Uni-Rankings.

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Mit seiner fundierten Kritik vieler aktueller Universitätsrankings hat Yves Gingras für internationales Aufsehen gesorgt. Die FURCHE bat den Wissenschaftshistoriker von der Universität Québec in Kanada zum schriftlichen Interview.

DIE FURCHE: Die zunehmende Beliebtheit der Uni-Rankings passt zum Eindruck, dass Universitäten heute wie Firmen am freien Markt betrachtet werden. Was sagen Sie zu dieser viel diskutierten Einschätzung?

Yves Gingras: Die Idee eines globalen Markts für Universitäten ist im Zusammenhang mit der neoliberalen Weltanschauung zu sehen, wonach versucht wird, alle Institutionen in einen Markt zu transformieren. Bei den Unis wurde das durch den Rückgang von öffentlichen Förderungen in die höhere Bildung begünstigt. Das hat viele Unis gezwungen, mehr ausländische Studierende anzuziehen, um ihre schwierige wirtschaftliche Situation zu kompensieren. Diese Entwicklung wurde unter den Schlagwörtern der "Globalisierung" und "Internationalisierung" schön geredet. Aber es geht hier weniger um kulturellen Austausch als um das nötige Geld.

DIE FURCHE: Warum brauchen wir überhaupt Universitätsrankings?

Gingras: Streng genommen brauchen wir sie nicht. Ihre Entstehung verdankt sich der oben erwähnten Entwicklung. Dadurch ist ein Markt für Angebote entstanden, die internationalen Studierenden dabei helfen sollen, die vermeintlich "besten" Universitäten ausfindig zu machen. Und die dafür angebotenen Rankings sind von den Unis im Sinne ihrer Marketingstrategien aufgegriffen worden, um eben diese Klientel anzuziehen. Tatsächlich aber spielen Rankings bei weniger als zehn Prozent der Studierenden eine Rolle für die Uni-Wahl. Diese wird viel eher durch Professoren und Freunde beeinflusst, die eine spezielle Studiensituation einzuschätzen wissen - was eben nicht durch einen einzelnen Ranking-Wert erfasst werden kann!

DIE FURCHE: In Ihrem Buch "Bibliometrics and Research Evaluation" (2016) haben Sie die Problematik der Rankings analysiert. Ist hier in letzter Zeit eine konstruktive Debatte in Gang gekommen?

Gingras: Heute gibt es viel mehr kritisches Denken als noch vor zehn Jahren, als das erste Shanghai-Ranking herausgekommen ist. Obwohl viele Uni-Manager die Rankings weiterhin zynisch für Marketingzwecke verwenden, wird es immer schwieriger, darüber hinwegzusehen, dass diese allzu simpel und artifiziell sind - und somit nicht wirklich als Entscheidungsgrundlage für die Bildungspolitik herhalten können.

DIE FURCHE: Laut Ihrer Analyse sind viele Indikatoren der Rankings gar nicht gültig. Wo liegt das Problem?

Gingras: Es gibt präzise Kriterien, die erfüllt sein müssen, um die Gültigkeit eines Indikators zu garantieren. Es ist daher erstaunlich, dass die meisten Indikatoren einfach auf der Basis von "Common Sense" ausgewählt werden -als ob das schon ausreichend wäre! Tatsächlich liefern die Indikatoren aktueller Rankings oft nur Scheinargumente und erfassen nicht, was sie eigentlich sollten, insbesondere die "Qualität" einer Universität.

DIE FURCHE: Welche Rankings sind zum Beispiel problematisch?

Gingras: Das Shanghai-Ranking enthält ungültige Indikatoren wie die Auszeichnung durch einen Nobelpreis. Ein Nobelpreis, der für Forschung von vor 20 Jahren verliehen wurde, kann selbstverständlich nicht den geringsten Hinweis geben, wie die Qualität der Universität heute zu beurteilen ist! Geradezu lächerlich sind jährlich veröffentlichte Rankings -als ob sich Universitäten binnen eines Jahres so schnell verändern könnten. De facto sind sie sehr träge Organisationen. Das ist übrigens eine gute Eigenschaft, da sie verhindert, sich allzu rasch an kurzfristige Launen anzupassen. Rankings im Jahresabstand erfassen nur Schwankungen statistischer Daten, nicht jedoch tatsächliche Entwicklungen. Der einzige Grund, sie jährlich zu veröffentlichen, liegt darin, das Ranking selbst medial präsent zu halten.

DIE FURCHE: Welche Rankings liefern brauchbare Ansätze?

Gingras: Derzeit werden die besten Indikatoren durch das so genannte Leiden-Ranking bereit gestellt. Das "U-Multirank" vermeidet ebenfalls die Falle, heterogene Werte zu kombinieren, nur um einen allzu simplen Gesamtwert zu erschaffen.

DIE FURCHE: Wie sinnvoll ist es zu erfassen, wie viele Artikel in welchem Fachjournal veröffentlicht werden?

Gingras: Die Anzahl der publizierten Artikel ist geeignet, die Produktivität eines Forschers einzuschätzen. Ebenso nützliche Information liefert die Häufigkeit der Zitierungen, also wie oft in der Fachliteratur auf einen Artikel Bezug genommen wird. Der "Journal Impact Factor" hingegen liefert oft Anlass für Missbrauch, da er lediglich ein Fachjournal charakterisiert. Viele Institutionen haben nun endlich verstanden, dass man diesen Faktor nicht heranziehen sollte, um damit Forscher oder deren Artikel zu evaluieren.

DIE FURCHE: Wie sehr ist das Universitätsleben heute durch Rankings geprägt?

Gingras: Manche Universitäten haben sogar nachweislich Daten manipuliert, um auf der Ranking-Leiter weiter hinaufzuklettern. Es kann aber auch Druck auf die Forscher entstehen, damit diese in bestimmten Journalen publizieren und die gerade modischen Themen aufgreifen, nur um dann beim Ranking besser abzuschneiden.

DIE FURCHE: Wie differenziert werden die universitären Leistungen in den Rankings erfasst?

Gingras: Da gibt es einen klaren Mangel an Differenzierung. Alle Rankings gehen in Richtung der leicht erfassbaren Messwerte: Publikationen und Zitierungen zu zählen, ist leicht - die Qualität der Lehre zu erfassen aber sehr schwer! Wenig überraschend auch, dass eine Universität, die von vornherein nur die besten Studierenden auswählt, mühelos die besten Resultate erzielt. Es ist nicht sinnvoll, die verschiedenen Dimensionen der Unis auf eine einzige Zahl herunterzubrechen. Das ist so, wie wenn ein dreidimensionaler Raum in einem einzigen Punkt kollabiert.

DIE FURCHE: Sie selbst waren Mitglied im "Council of Canadian Academies", das stets betont, dass die Rankings das persönliche Urteil nicht ersetzen können ...

Gingras: Zahlen können nur dazu dienen, Entscheidungen zu unterstützen. Niemals können sie die Entscheidung diktieren. Denn aus jedem Indikator kann man ganz unterschiedliche Schlussfolgerungen ziehen: Stellen Sie sich vor, eine universitäre Abteilung arbeitet sehr gut. Man kann sie dann so weitermachen lassen oder ihr mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Wenn die Abteilung aber schlecht läuft, kann man sie schließen oder in neue Ressourcen investieren, damit sie sich hoffentlich verbessert. Die Entscheidung hängt ab vom größeren Zusammenhang und Ziel. Jede Entscheidung basierend auf Algorithmen wäre nicht nur irrational, sondern würde auch perverse Effekte hervorbringen, also einer Verbesserung entgegenlaufen.

DIE FURCHE: Was halten Sie von der aktuellen Tendenz, das Bewertungsmodell der Naturwissenschaften auf andere Fächer umzulegen?

Gingras: Das Modell der Naturwissenschaften auch für die Sozial- und Geisteswissenschaften anzuwenden, ist ein großer Fehler. Denn deren Ergebnisse sind weit eher auf Interpretation angewiesen als die einmaligen "Entdeckungen" der Naturwissenschaften. Zudem erscheinen die wichtigsten Beiträge in den Sozial-und Geisteswissenschaften oft in Buchform, während etwa in der Medizin monatlich kleinere Artikel publiziert werden. Die perversesten Effekte dieses Nachäffens der Naturwissenschaften sieht man nun darin, dass Bücher verunglimpft werden, als ob sie weniger "wissenschaftlich" wären. Und das nur, weil der "Impact Factor" als Indikator eben nicht auf Bücher und Buchkapitel anwendbar ist. Es gibt sogar Druck auf Forscher, Fachartikel statt Bücher zu veröffentlichen. Die Situation ist doch absurd, wenn es der Indikator ist, der die Forschung antreibt und nicht umgekehrt.

DIE FURCHE: Sie haben betont, dass es einer "Ethik der Evaluation" bedarf. Was ist damit gemeint?

Gingras: Jede Entscheidung basierend auf undurchsichtigen Daten wäre nicht ethisch, da man sie nicht überprüfen kann. Diskussionen zur Evaluation konzentrieren sich zu sehr auf die Indikatoren. Man sollte nicht vergessen, dass selbst bei gültigem Indikator die Datenquelle zu hinterfragen ist. Die Daten sollten für die evaluierten Personen oder Organisationen zugänglich und transparent sein, damit diese deren Gültigkeit und die Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse bestätigen können. Da geht es ganz grundsätzlich um Fairness und Gerechtigkeit.

DIE FURCHE: Sollte das Evaluationssystem für Universitäten also komplett überdacht werden?

Gingras: Das Fieber der Evaluation wird wohl vorübergehen. In vielen Kritiken wurde darauf hingewiesen, dass der gesunde Menschenverstand zurückkehren wird, wenn die Wissenschaftler selbst sich den am stärksten simplifizierenden Maßstäben widersetzen. Diese Bewegung hat schon begonnen, wie die "San Francisco Declaration on Research Assessment" (DORA, 2013) zeigt. Viele Editorials in renommierten Wissenschaftsjournalen haben ebenso den Missbrauch von allzu simplen Indikatoren angeprangert.

Yves Gingras ist Professor für Wissenschaftsgeschichte und -soziologie an der Universität Québec in Montreal, Kanada. In seinem Buch "Bibliometrics and Research Evaluation"(MIT Press, 2016) beleuchtet er die Auswüchse der Forschungsevaluierung.

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