Vertrauen in das Erbgut der Aufklärung

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50 Jahre Wissenschaftsfonds FWF: Beim BE OPEN-Festival in Wien wurden auch Fragen der wissenschaftlichen Integrität diskutiert. Hier geht es nicht nur um Betrug und Schlamperei -sondern überhaupt um eine neue Forschungskultur für das 21. Jahrhundert.

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50 Jahre Wissenschaftsfonds FWF: Beim BE OPEN-Festival in Wien wurden auch Fragen der wissenschaftlichen Integrität diskutiert. Hier geht es nicht nur um Betrug und Schlamperei -sondern überhaupt um eine neue Forschungskultur für das 21. Jahrhundert.

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Vertrauen ist oft so selbstverständlich, dass man seinen Wert erst dann erkennt, wenn es zu einer Krise kommt. Vertrauen ist der Kitt und das Schmieröl der Gesellschaft, von unseren privaten und beruflichen Beziehungen bis hin zu den großen Abläufen der Politik, der Wirtschaft und des Finanzsystems. Unsere aktuelle Situation wird mitunter auch als umfassende Vertrauenskrise gedeutet.

Symptome dafür gibt es genug: zum Beispiel einen US-Präsidenten, den man durchaus berechtigt als Lügenbaron bezeichnen könnte, oder die Hochkonjunktur von "Fake News" und Verschwörungstheorien. Brüchiges Vertrauen betrifft heute auch die Wissenschaft. Zum einen gibt es Politiker, die wissenschaftliche Erkenntnisse (etwa zum Klimawandel) infrage stellen. Andererseits werden Fälle von wissenschaftlichem Betrug und Fehlverhalten heute vermehrt diskutiert, was auf eine grundsätzlich positive Entwicklung zurückzuführen ist: Das Bewusstsein für wissenschaftliche Integrität hat zuletzt stark zugenommen; und noch nie gab es soviel Forschung zu diesem Thema.

Der Fluch des Plagiats

"Eine freie, unabhängige Wissenschaft ist eine zentrale Säule einer aufgeklärten Demokratie", betonte FWF-Präsident Klement Tockner beim "BE OPEN - Science & Society"-Festival, das von 8. bis 12. September in Wien stattgefunden hat. Anlass war das 50-jährige Jubiläum des Wissenschaftsfonds FWF, dem größten Förderer der Grundlagenforschung in Österreich. "Wir können es uns nicht leisten, Entscheidungen, die oft von großer Tragweite für unsere Gesellschaft sind, nicht evidenzbasiert zu treffen." Und Evidenz meint eben die jeweils aktuelle Datenlage, die Bewertung aller wissenschaftlichen Erkenntnisse. "Der Theorie und Praxis von Wissenschaft liegt stets die DNA der Aufklärung zugrunde", sagte auch Stephan Rixen. Als Kommissionschef der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) steht er gewissermaßen einer Hygiene-Einrichtung vor: Die unabhängige Kommission mit sieben ausländischen Experten untersucht Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens in Österreich und bewertet diese. Rixen war einer der Sprecher bei einem Symposium der ÖAWI, das anlässlich des 10-jähriges Bestehens dieses Vereins im Rahmen des BE OPEN-Festivals veranstaltet wurde. Experten diskutierten dort über Strategien, wie das Vertrauen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, aber auch innerhalb des Wissenschaftssystems wieder gestärkt werden kann.

Das Bemerkenswerte daran: Die offensichtlichen Fälle von Betrug und Fehlverhalten sind nur die Spitze des Eisbergs von dem, was heute unter dem Dachbegriff der wissenschaftlichen Integrität verhandelt wird. Die Hygienemaßnahmen umfassen nicht nur die Beseitigung der schwarzen Flecken, sondern reichen bis hin zur verbesserten Umsetzung wissenschaftlicher Prozeduren. Zu den "Todsünden" im Wissenschaftsbetrieb zählen Fälschungen, Erfindungen oder Plagiate. Sie sind medial stark präsent, da einige prominente Persönlichkeiten in den letzten Jahren mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert worden sind. Plagiatsrelevante Stellen in der Doktorarbeit etwa haben 2011 dem ehemaligen deutschen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) den politischen Job gekostet, ebenso wie 2017 dem ehemaligen steirischen Landesrat Christian Buchmann (ÖVP).

Perverse Anreize

Weiters können illegitime Einflussnahmen vonseiten industrieller oder politischer Auftraggeber zu verzerrten Studienergebnissen führen. Im letzten Jahr war diesbezüglich die Islamkindergarten-Studie von Ednan Aslan unter Verdacht geraten. Die Agentur für wissenschaftliche Integrität konnte in ihrer Prüfung kein Fehlverhalten feststellen, kritisierte aber die Qualität von Aslans Studie. Ein weiteres Problemfeld sind unseriöse Fachzeitschriften, sogenannter Raubverleger ("Predatory journals"), wie heuer eine Recherche internationaler Medien gezeigt hat: Rund 400.000 Forscher weltweit haben dort in den letzten Jahren Studien ohne kritische Durchsicht, gegen Zahlung teils hoher Gebühren veröffentlicht.

Die häufigsten Verdachtsfälle, mit denen sich die ÖAWI bislang zu beschäftigen hatte, waren Plagiate (68), gefolgt von Autorschaftskonflikten (28) sowie Ideendiebstahl, Behinderung der Arbeit anderer Forscher und Datenfälschung (jeweils unter 20 Fälle). Doch schlampige Forschung untergräbt ebenfalls das Vertrauen -und ist viel häufiger als wissenschaftlicher Betrug. Diese wird daher von Experten als das größere Problem angesehen, berichtete der Wissenschaftsforscher Lex Bouter. Es gebe eine ganze Reihe struktureller Gründe, die zu Mängeln in der wissenschaftlichen Integrität führen können, etwa wenn Forscher auf befristeten Stellen unter hohem Zeitdruck publizieren müssen und gleichzeitig Geld auftreiben müssen, um überhaupt weiterarbeiten zu können. "Die aktuellen Anreize im Wissenschaftssystem sind pervers", so Bouter, "es geht fast nur um die Zahl der Publikationen und Zitationen". Also um Quantität statt Qualität: Im besten Fall ist dieses System oberflächlich und unzulänglich, im schlechtesten Fall ermutigt es zu fragwürdiger Forschung.

"Abfall" vermeiden

Auch Sabine Kleinert kam zu einem ähnlichen Schluss: "Falsche Anreize führen letztlich zu verzerrten Forschungszwecken." Wissenschaftliche Projekte und Publikationen würden heute viel eher im Sinne der eigenen Karriere als im Sinne des Nutzens für die Gesellschaft und das Gemeinwohl gesehen. Als Kinderärztin arbeitete Kleinert in London, Melbourne und Houston. Heute ist sie Herausgeberin beim Lancet, einem der renommiertesten Fachjournale in der Medizin. Dort hat sie vor einigen Jahren die REWARD-Kampagne initiiert, um den wissenschaftlichen "Abfall" zu verringern und somit den Wert der medizinischen Forschung zu steigern.

Auch Effizienzsteigerung ist eine Sache der Integrität, denn es sind großteils die Steuerzahler, die öffentliche Forschung finanzieren. Das beginnt schon bei den Forschungsfragen: Sind die Prioritäten einer Studie überhaupt relevant für die Nutzer der Forschung? Und es endet bei den Forschungsberichten, die mitunter unvollständig, unbrauchbar oder gar nicht zugänglich sind. Zeit, Geld und Arbeitskraft werden dann vergeudet. Schätzungen zufolge führten wissenschaftlicher "Abfall" und Ineffizienz in den USA zu einer jährlichen Verschwendung von 200 Milliarden US-Dollar.

"Fehlverhalten in der Forschung wird es immer geben", konstatierte ein Editorial im Lancet schon vor drei Jahren. "Robuste Systeme sind wichtig, um mit Betrugsvorwürfen umzugehen; die eigentliche Herausforderung aber besteht darin, ein nachhaltiges Forschungsumfeld zu schaffen, um den wahren Zweck der Wissenschaft zu erfüllen -Forschung im Dienste der Gesellschaft und des Planeten."

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