Dass Investment-Banker nach der letzten Finanzkrise herbe Image-Verluste hinnehmen mussten, ist bekannt. Aber auch Angestellte von Big-Tech-Riesen wie Facebook, Google & Co sorgen sich laut neuesten Berichten aus dem Silicon Valley um ihre Reputation. Die Enthüllung der dunklen Seiten der Datenkraken-Konzerne hat das öffentliche Bild ihrer Mitarbeiter ramponiert. Sorgen dieser Art sind Wissenschaftlern bislang fremd. Sie sind es gewohnt, sich in gesellschaftlicher Wertschätzung zu sonnen. Doch Vorsicht ist angesagt, denn der Ruf ist rasch ruiniert. Dann aber lebt es sich keineswegs ungeniert.
Die österreichische Debatte zur umstrittenen "Islamkindergarten-Studie" ist das jüngste Beispiel dafür, wie extern finanzierte Auftragsforschung ins schiefe Licht geraten kann. Auf dem Spiel steht nicht nur die Glaubwürdigkeit einzelner Forscher, sondern der Wissenschaft generell. In einem Umfeld postfaktischer Anmutungen wäre es fatal, wenn dieses hohe Gut bereits durch leichte Kratzer beschädigt wird. Denn die letzte Bastion gegen "Fake News", gegen vorsätzliche Falschmeldungen im Sinn der eigenen Interessen, ist und bleibt die Wissenschaft. "Schlechte wissenschaftliche Praxis und insbesondere wissenschaftliches Fehlverhalten Einzelner unterminieren die Reputation einer unabhängigen Wissenschaft, die die Grundlage einer aufgeklärten Demokratie darstellt - so wie Doping massiv einem fairen Wettbewerb im Sport schadet", sagt Klement Tockner, Präsident des FWF und seit heuer Leiter der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität (OeAWI), die pro Jahr durchschnittlich rund 20 Verdachtsfälle von möglichem wissenschaftlichen Fehlverhalten prüft.
Warum sollten sich Studierende an die peniblen Regeln guter wissenschaftlicher Praxis halten, wenn gerade bei hoch relevanter Auftragsforschung dem Schlendrian Vorschub geleistet wird?
Schmerzlicher Mangel
Zur Erinnerung: Letzte Woche wurde das Gutachten zur Pilotstudie des Religionspädagogen Ednan Aslan präsentiert, die islamische Kindergärten in Wien hinsichtlich extremistischer Tendenzen beleuchtet hat. Die Studie an der Uni Wien war vor allem deshalb in die Kritik geraten, weil der Verdacht der Manipulation vonseiten des Integrationsministeriums als politischer Auftraggeber entstanden war. Die Universität Wien hat die OeAWI zur Klärung der Vorwürfe beauftragt. Fazit: Es war "im strengen juristischen Sinn kein wissenschaftliches Fehlverhalten" nachweisbar, die Qualität der Studie aber wurde "deutlich kritisiert". ÖVP-Chef Sebastian Kurz als verantwortlicher Minister betrachtet die Vorwürfe nun als abgeschmettert. Die Kritiker hingegen pochen darauf, dass einige von außen vorgeschlagene Änderungen zu einer nicht nachvollziehbaren Zuspitzung von Aussagen geführt haben. Beide Seiten sehen ihre Position bestätigt -alles gut also? Mitnichten.
Die Diskussion um die "Kindergartenstudie" hat den Mangel an speziellen Regeln für die Forschungskooperation mit staatlichen Auftraggebern schmerzlich bewusst gemacht. Die Agentur für wissenschaftliche Integrität plant nun die Erstellung einer Richtlinie für beauftragte Studien aus dem öffentlichen Sektor. Gerade bei politisch heiklen Themen wird zudem ein unabhängiges Gremium zur Begutachtung empfohlen. Warum auch sollten sich Studierende und das akademische Personal an die peniblen Regeln einer guten wissenschaftlichen Praxis halten, wenn gerade bei gut dotierter und hoch relevanter Auftragsforschung dem Schlendrian Vorschub geleistet wird?
Trump zum Trotz
"Mehr denn je benötigt es die unabhängige Stimme der Wissenschaft, um auf politisch und gesellschaftlich heikle Fragen evidenzbasierte Antworten geben zu können", betont OeAWI-Chef Tockner. Evidenz bedeutet Nachweis, Einsichtigkeit, Offensichtlichkeit -sie entsteht, indem die verfügbaren Studiendaten zu einer Fragestellung herangezogen werden, wobei deren Aussagekraft sorgfältig abzuwägen ist. Es wäre wünschenswert, wenn Politiker ihre Strategien mit wissenschaftlicher Expertise begründen: In einer Zeit, in der anstehende Entscheidungen immer komplexer werden, würde dies eine transparente, sachgemäße, durch Wissen abgesicherte Politik begünstigen -Trump zum Trotz. Das wäre eine zivilisatorische Errungenschaft, für die es sich gerade heute zu kämpfen lohnt.
Entgegen aller Bemühungen um eine offene Wissenschaft ("Open Science") ist es aber weiterhin nicht ungewöhnlich, dass die Einsicht in öffentlich finanzierte Studien der Allgemeinheit vorenthalten wird. Mangelnde Transparenz verhindert einen kritischen Diskurs und ist ein Nährboden für Missbrauch und Missbrauchsgerüchte. Hinzu kommt, dass die europäischen Universitäten infolge der Bologna-Reform stärker auf Drittmittel angewiesen sind. "Der zunehmende Druck, immer mehr Drittmittel einzuwerben, darf keinerlei Einfluss auf die wissenschaftlichen Ergebnisse haben", sagt Tockner. "Selbst wenn bei einer Studie kein wissenschaftliches Fehlverhalten nachgewiesen wird, kann bereits der Verdacht einer Einflussnahme durch den Auftraggeber zu einem unerwünschten 'Beigeschmack' führen, der wiederum auf die wissenschaftliche Qualität abfärbt." So empfiehlt der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF), ein europaweiter Vorreiter bei "Open Science", Forschungsergebnisse stets offen zugänglich zu machen und zur langfristigen Archivierung in Repositorien zu hinterlegen. Ein wichtiger Beitrag zur Qualitätssicherung, denn so werden Studiendaten reproduzierbar, überprüfbar und weiterverwendbar.
In einem Umfeld postfaktischer Anmutungen wäre es fatal, wenn die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft beschädigt wird.
Skandalöse Wissenschaft
Wichtig wäre wohl auch, die Missbrauchsgeschichte von Wissenschaft zu studieren. Krasse Beispiele für die Korruptionsanfälligkeit des Systems finden sich meist dort, wo mächtige industrielle Interessen vorhanden sind, wie Christian Kreiß in seinem Buch "Gekaufte Forschung" (Europa Verlag, 2015) darzustellen weiß. Der deutsche Professor präsentiert Beispiele aus verschiedensten Branchen, erzählt skandalöse Geschichten aus der Genfood-,Atomenergie- und Pestizid-Forschung. Er berichtet von Forschern, die im Dienst der Tabakindustrie die Gefahren des Passivrauchens verschleierten oder von Praktiken in der Pharmaforschung, wo etwa unerwünschte Studienergebnisse vertuscht wurden. Spannend war unlängst auch eine TV-Dokumentation, die gezeigt hat, wie in den 1960er-Jahren amerikanische Ernährungsexperten von Lobbyisten bestochen wurden, um das Gesundheitsrisiko durch überhöhten Zuckerkonsum zu verschleiern und den "schwarzen Peter" allein dem Fett zuzuschieben -eine einseitige Sichtweise, die in den 1980er-Jahren sogar in internationale Ernährungsrichtlinien eingeflossen ist.
In der Forschung ist die Fragestellung stets der Fels, in den die Antwort gemeißelt wird. Immer mehr Studien werden in Auftrag gegeben, "um die eigene Position argumentativ besser zu untermauern", so Ludovit Garzik vom Rat für Forschung und Technologieentwickung im Standard. Umso wichtiger wäre eine rigorose Auslegung verbindlicher Regeln, die für Forscher und Politiker eine letztlich schützende Funktion haben. An der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften hat man sich dazu bereits Gedanken gemacht: "Auftraggeber von Beratungsleistungen (...) dürfen den laufenden Beratungsprozess weder methodisch noch inhaltlich beeinflussen", heißt es in den Leitlinien wissenschaftlicher Politikberatung. "Vom Auftraggeber wird ein fairer Umgang mit den Beratungsergebnissen verlangt. Dazu gehört, dass diese nicht verzerrt wiedergegeben und abweichende Interpretationen begründet werden."
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