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Parlament auf Diät

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Die zunehmende „Infor-matisierung“ der Politik hat zu einer schleichenden Aufhebung der Gewaltenteilung geführt. Die parlamentarische Kontrolle ist ausgehöhlt.

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Die zunehmende „Infor-matisierung“ der Politik hat zu einer schleichenden Aufhebung der Gewaltenteilung geführt. Die parlamentarische Kontrolle ist ausgehöhlt.

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„Wie heiter und entzückend wäre das Leben, wenn man die ganzen persönlichen Kontakte loswerden könnte. Vielleicht in der Zukunft, wenn die Maschinen einen Grad der Vollkommenheit erreicht haben... dann vielleicht wird es denen, die sich wie ich danach sehnen, möglich sein, in würdiger Abgeschlossenheit zu leben, umsorgt von der delikaten Aufmerksamkeit stiller und graziöser Maschinen, völlig geschützt vor jeglichem menschlichen Eindringen. Ein schöner Gedanke.“

An diese Worte von Aldous Huxley fühlt sich der Staatsbürger bei seinem, oft nicht vermeidbaren Umgang mit der staatlichen Bürokratie erinnert. Der Bürger als Bittsteller, dem der Staat, nicht selten in Gestalt eines mürrischen Beamten, als übermächtiger, undurchschaubarer Koloß gegenübertritt.

Uber das gespannte Verhältnis der Bürger zur Verwaltung soll hier jedoch nicht Klage geführt werden. Es geht vielmehr darum, das Augenmerk einer demokratisch interessierten Öffentlichkeit auf einen Umstand zu lenken, der als „schleichende Aufhebung der Gewaltenteilung“ bezeichnet werden könnte. Gemeint sind damit die zunehmenden Schwierigkeiten der parlamentarischen Vertreter, die Macht, den Einfluß der Verwaltung auf ihre Entscheidungen in Grenzen zu halten.

In den letzten Jahren haben sich die Informationsgrundlagen der Politik zum Teil erheblich verändert. Waren früher politische Entscheidungen noch wesentlich von den erfahrungsorientierten, unmittelbaren, „direkten“ Informationen der Parlamentarier geprägt, so treten im modernen Wohlfahrtsstaat an deren Stelle mehr und mehr „künstliche“, auf verschiedenen Quellen beruhende synthetische Informationen. Dies hängt mit der zunehmenden Vielfalt und Komplexität der staatlichen Aufgaben zusammen.

Der Wechsel von den unmittelbaren zu den mittelbaren Informationen, die aus unmittelbaren Aussagen über die gesellschaftliche Wirklichkeit gewonnen und systematisch verarbeitet werden, führt zu einer doppelten Herausforderung:

• Das wachsende Gewicht synthetischer Information erhöht die Anforderungen an die Fähigkeit von Regierung und Verwaltung, Informationen zu verarbeiten;

• die bestehenden Organisationsstrukturen von Politik und Verwaltung erschweren die Wahrnehmung und Verarbeitung von Problemen und verursachen dadurch vielfältige Orientierungsverluste der politischen Entscheidungsträger (Paul Ke-venhörster, Politik im elektronischen Zeitalter, Nomos Verlag, 1984).

Unmittelbare Informationen, die der politische Mandatar im Gespräch mit seinen Wählern, aus persönlicher Erfahrung erhält, gelten als subjektiv und einseitig und erscheinen als solche als Planungsgrundlage irrelevant.

Synthetische Informationen lassen sich in der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft so sammeln und darstellen, daß schneller entschieden und effektivere Maßnahmen getroffen werden können. Das Grundproblem ist nur: Wer verfügt üÖer die Informationssysteme und wer entscheidet, was effektiv ist?

Sicherlich sind das führende Bürokraten, Politiker, Manager und Wissenschaftler. Es gibt kaum noch ein größeres politisches Projekt, das nicht von wissenschaftlichen Vorstudien vorbereitet oder von Wissenschaftlern begleitend untersucht wird. Sogar die Tagespolitik meint, nicht mehr ohne wissenschaftliche Gutachten auskommen zu können.

In unserem Zusammenhang ist die „Verwissenschaftlichung“ der Politik unter zwei Gesichtspunkten wichtig:

• Es besteht die Gefahr, daß in der Politik bald nur noch das gilt, was in Zahlen und der jeweils herrschenden wissenschaftlichen Theorie faßbar ist, und

• der Informationsvorsprung und damit die Macht der Verwaltung gegenüber ihren Kontrolloren, den demokratisch gewählten Abgeordneten, wächst.

Zwischen der Regierung und der Verwaltung auf der einen Seite und dem Parlament, insbesondere der parlamentarischen Opposition auf der anderen Seite besteht eine „traditionelle“ Informationslücke.

Durch das Defizit der wissenschaftlichen Politikberatung' im Parlament wird das Informationsgefälle weiter verschärft. Dabei ist nicht fehlende Information, sondern deren fehlende Nachprüfbarkeit und mangelnde Verarbeitung das Hauptproblem.

In den meisten Fällen fehlt die „Vor-Information“ der Abgeordneten, also ein spezifisches Problembewußtsein und minimaler Kenntnisstand, überhaupt.

Dem Regierungsapparat f älltes leicht, alternative Handlungsmöglichkeiten zu unterschlagen. Werden Berichte über ministerielle Beratungen dennoch veröffentlicht, laufen sie im allgemeinen darauf hinaus, beschlossenen politischen Maßnahmen die nachträgliche Begründung zu liefern.

Durch die „bürokratische Informationsdiät“ für die Abgeordneten gelingt es der Regierung immer wieder, einer kritischen Kontrolle und unwillkommenen Alternativen auszuweichen.

Die derzeitigen parlamentarischen Kontrollen wirken nur nachträglich. Im Wohlfahrtsstaat mit seinen umfassenden Aufgaben ist jedoch die Planungskontrolle entscheidend. Informationen werden bei der Gesetzesplanung, spätestens bei der Gesetzesberatung benötigt. Nur dann können politische Alternativen entwickelt werden.

Der unreflektierte Zugang der Parlamentarier zu den Datenbänken und Informationssystemen der Regierung könnte eine Scheintherapie sein. Dieser Zugriff könnte das Parlament noch mehr auf die Grundlagen des Regierungshandelns fixieren und politische Alternativen schrittweise ausblenden.

Der Ausbau eigener parlamentarischer Datenbänke und wissenschaftlicher Beraterstäbe, in Österreich nur in Ansätzen verwirklicht, könnte ein Ausweg aus der Herrschaft der Bürokraten sein.

Der Autor war Vorsitzender des Zentralausschusses der österreichischen Hochschü-lerschaft.

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